„Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“ Selten war dieses berühmte Zitat zutreffender als bei der nachhaltigen Transformation von Unternehmen. Jochen Trommer, Director Circular Economy bei KPMG, und Philip Ginthör, Partner bei KPMG, sprechen über die Herausforderungen, aber auch großen Chancen einer gelungenen Kreislaufwirtschaft entlang der ESG-Richtlinien.
Viele nehmen die Regulatorik rund um Nachhaltigkeit als notwendiges Übel wahr. Sie auch?
Jochen Trommer: Ich sehe sie als eine große Chance für Unternehmen. Die regulatorischen Berichtspflichten schaffen eine hohe Transparenz. Denn die hierfür notwendigen Prozesse zur Datenerfassung und Berichtserstellung verankern Nachhaltigkeit – in allen drei Dimensionen von E, S und G – noch stärker als zuvor im Unternehmen. Die Chancen ergeben sich unter anderem aus der Nutzung der ermittelten Daten. Eine Vielzahl dieser Informationen können Unternehmen verwenden, um Kundenanfragen zu beantworten, etwa zu ESG-Ratings, zum ökologischen Produktfußabdruck oder zu detaillierten Informationen wie Sozialstandards in der Lieferkette. Wer im Vergleich zu seinen Mitbewerbern bessere Kennzahlen liefert, erarbeitet sich einen Wettbewerbsvorteil.
Philip Ginthör: Darüber hinaus schafft Transparenz auch eine zusätzliche Motivation für Innovation. Wenn ich mir beispielsweise ein CO2-Ziel für mein Unternehmen setze, kann ich dieses nicht nur durch Energieeffizienzmaßnahmen erreichen. Ich werde früher oder später auch über Innovation im Produktentwicklungs- und Fertigungsprozess nachdenken müssen. So wird beispielsweise der Einsatz von Sekundär- statt Primärrohstoffen im Sinne der Kreislaufwirtschaft immer relevanter.
Wo stoßen die Grundidee der Kreislaufwirtschaft und die Umsetzung durch jene, die sich ihrer annehmen, am häufigsten an ihre Grenzen?
Jochen Trommer: Tatsächlich liegt der Fokus heute oft in der Optimierung des Recyclings und von Abfallströmen sowie in der Abfallvermeidung. Kreislaufwirtschaftliche Ansätze bereits im Produktdesign oder im Geschäftsmodell sind deutlich seltener. Hierfür bedarf es einer stärkeren Innovations- aber auch teilweise Investitionskraft. Die Effekte eines kreislaufwirtschaftlich orientierten Produktdesigns zeigen sich selten kurzfristig, die Investition in ein Product-as-a-Service-Geschäftsmodell verschiebt den Kapitalbedarf vom Verkauf zum „Betrieb der Produktflotte“.
Philip Ginthör: Das bedeutet, dass hier mittel- und langfristig erhebliche Vorteile für Unternehmen realisierbar sind, die aber kurzfristiger Vorbereitung und Investitionen bedürfen. Viele Unternehmer:innen kennen dieses Dilemma aus den Anfangstagen der Digitalisierung. Auch hier gilt aber: Wenn zusätzlicher Kundennutzen durch eine Veränderung von Produktdesign oder Geschäftsmodell bedient werden kann, haben Unternehmen, die hier vorausschauend agieren, einen Marktvorteil, weil sie die Marktveränderung mitgestalten.
Was raten Sie Unternehmer:innen, die in Zeiten von multiplen Krisen nun um ihre Gewinne fürchten?
Philip Ginthör: Für einzelne Unternehmen, aber auch gesamtwirtschaftlich sind die Chancen groß: Europa ist als rohstoffarmer Kontinent strategisch auf eine starke Kreislaufwirtschaft angewiesen. Wir können sie also nutzen, um uns von internationalen Lieferketten und globalen Verwerfungen unabhängiger zu machen. Unternehmen beziehen im Idealfall ihre benötigten Rohstoffe aus den eigenen und von Partnern betriebenen Netzwerken, die Rückführung und Bereitstellung der recycelten Sekundärrohstoffe sicherstellen.
Jochen Trommer: Wir erkennen auch zunehmend einen wachsenden Kundenbedarf. So gibt es die Bereitschaft, für nachhaltige Produkte ein Upgrade zu bezahlen – etwa im B2C-Bereich von Biolebensmitteln. Im B2B gilt sicher eine andere Logik – ein höherer Preis für ein nachhaltigeres Produkt ist schwerer durchsetzbar, sobald aber die eine Einkaufsabteilung auch nach diesen Faktoren fragt und sie in einem Lieferantenrating berücksichtigt, kann sich ein Unternehmen, das ein messbar nachhaltigeres Produkt anbietet, einen Vorteil verschaffen. Hier treffen sich dann Ökologie und Ökonomie und werden zum Werttreiber.
Welche Rolle wird die Digitalisierung in diesem Kontext spielen?
Philip Ginthör: Eine ganze entscheidende. Die regulatorischen Berichtspflichten erfordern die jährliche Offenlegung einer Vielzahl von quantitativen und qualitativen Informationen. Das wird aber nicht ausreichend sein, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Hierfür wird ein unterjähriges, internes Nachhaltigkeitscontrolling notwendig – analog zum Finanzcontrolling. Dies ist nur durch entsprechende Kennzahlendigitalisierung und -automatisierung möglich. Darüber hinaus werden der künftig veränderte Personal- und Ressourcenbedarf nur durch konsequente Digitalisierung und Automatisierung zu bewältigen sein.
Jochen Trommer: Neben dem Auf- oder Ausbau der IT-Systeme ist auch die Governance-Organisation mitzudenken. Wo liegen die Verantwortlichkeiten für die Daten, das Controlling und die Umsetzung der definierten Maßnahmen zur Zielerreichung? In Summe wird das zur transformativen Herausforderung.
Was ist Ihre persönliche Motivation, um heute und in Zukunft auch selbst die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft zu beherzigen?
Jochen Trommer: Mit unserem Geschäftsmodell sind wir aus kreislaufwirtschaftlichen Gesichtspunkten bei KPMG tatsächlich wenig rohstoffgetrieben. Dank der digitalen Zusammenarbeitsmodelle – intern wie auch mit unseren Kund:innen – nimmt aber beispielsweise die Relevanz von Ausdrucken auf Papier kontinuierlich ab. Für uns steht hier der Dienstleistungsgedanke im Vordergrund: Wie helfen wir unseren Kund:innen durch unsere Beratungsleistungen und Tools, selbst mehr im Kreislauf zu arbeiten?
Philip Ginthör: Neben den unternehmerischen Aspekten in Zusammenarbeit mit unseren Kund:innen nehme ich eine immer stärker werdende persönliche Motivation auf beiden Seiten wahr. Wir hören immer öfter „und auch meine Kinder erwarten von mir, meinen Beitrag zu leisten – neben dem privaten auch in meiner Rolle als Manager:in“. Das fordern meine Kinder auch._
Wo Ökologie und Ökonomie aufeinandertreffen, werden sie zum Werttreiber.
Jochen Trommer
Director Circular Economy, KPMG
Wir hören immer öfter: Auch meine Kinder erwarten von mir, einen Beitrag zu leisten.
Philip Ginthör
Partner, KPMG
Erfolgsfaktoren … für eine gelungene Kreislaufwirtschaft
1. Transparenz. Ist-Zustand kennen und Zielbild definieren. Hierbei sind Methoden wie die Life-Cycle-Analyse oder das Circular-Transition-Indicators-Tool hilfreich.
2. Produkt(ions)innovation. Kreislaufwirtschaft geht weit über Material- und Recyclingquoten hinaus. Stichwort: Abfallvermeidung. Produktionsinnovation verringert den Materialeinsatz.
3. Geschäftsmodell-Innovation. Bei „Product as a Service“ verbleibt das Eigentum beim Verkäufer, somit kann das Produkt geplant zurückgeholt werden und nach Überholung wieder zum Einsatz kommen oder gezielt demontiert und recycelt werden. Eine Win-win-Situation.