Zeit, Mühe, Hoffnung, Erwartung. Das alles steckt in einem Bewerbungsschreiben. Abgeschickt von einem Menschen, der sein Talent, seine Fähigkeiten, seine Leidenschaft und einen Großteil seiner täglichen Zeit in eben dieses Unternehmen einbringen möchten. Nehmen wir also an, eine Firma erhält 40 solche Bewerbungen für eine ausgeschriebene Stelle. Ein Kandidat wird am Ende eingestellt. Und die restlichen 39? Dass diese in den meisten Fällen enttäuscht sind, ist klar. Aber sind sie auch verärgert, fühlen sie sich gedemütigt, ignoriert, indem sie nicht einmal eine Antwort auf ihr Schreiben bekommen haben oder im besten Fall wochenlang darauf warten mussten? Wurden sie vielleicht zum Gespräch eingeladen, bei dem sie jedoch wie ein jämmerlicher Bittsteller behandelt wurden? Oder noch schlimmer: Wurde ihnen etwa Hoffnung auf die Stelle gemacht, um sie dann monatelang hinzuhalten? Was bleibt, ist ein negativer Beigeschmack.
Ein Geschmack, den man nicht hinunterschlucken möchte. Was machen die Bewerber daher? Sie spucken es aus: Reden darüber, erzählen ihren Bekannten davon, diese sprechen wiederum darüber ... und so weiter und so fort. Negative Mundpropaganda pflanzt sich schließlich noch besser fort als positive – und das ist Gift für die Arbeitgebermarke. Dabei spielt diese in Zeiten von Fachkräftemangel, der längst nicht mehr nur die IT-Branche betrifft, eine ganz entscheidende Rolle: „Employer Branding ist eine der wichtigsten Aufgaben im Human-Resource-Bereich“, weiß Manfred Webersdorfer vom Personalberatungsunternehmen Hill International. Das sei den meisten zwar bewusst, die Realität sehe aber anders aus. So ist zum Beispiel der Begriff „Candidate Experience“ längst in aller Munde unter Personalern, befragt man aber Kandidaten zu ihrem Eindruck von Unternehmen, bei denen sie sich beworben haben, käme man nicht auf die Idee, dass diese Wert auf ihr Arbeitgeberimage legen: Österreichs Arbeitgeber reagieren häufig spät oder gar nicht auf Bewerbungen, das ist das Ergebnis einer Online-Umfrage von Österreichs größtem Jobportal karriere.at. 30 Prozent der 704 an der Umfrage beteiligten Arbeitnehmer gaben an, keine Rückmeldung auf ihre Bewerbung erhalten zu haben. Ausschließlich positive Erfahrungen mit dem Bewerbungsprozess hatten lediglich fünf Prozent. „Der Begriff Candidate Experience beschreibt die Summe aller Erlebnisse und Empfindungen, die ein Kandidat im Laufe eines Bewerbungsprozesses durchmacht: vom allerersten Kontakt wie etwa einem Stelleninserat über den Informationsprozess, Bewerbungsrunden bis hin zur Unterschrift am Dienstvertrag oder der Absage“, erklärt Jürgen Smid, Geschäftsführender Gesellschafter von karriere.at. War früher ein Bewerber im Recruitingprozess eher Bittsteller um einen Job, so habe sich diese Rolle massiv gewandelt.
"Kandidaten sollte man mindestens genauso wichtige nehmen wie Kunden."
Manfred WebersdorferGeschäftsführender Gesellschafter, Hill International
Wie eine Absage zu Werbung wird.
Bei der Trodat Trotec Group mit Sitz in Wels ist man sich dessen bewusst. „Der Bewerbungsprozess gewinnt immer mehr an Bedeutung, weil die Anzahl der potentiellen Kandidaten durch die demografische Entwicklung ganz einfach sinkt“, sagt Silvia Silberbauer, Head of Human Resources. „Speziell junge Leute haben zudem ganz klare Vorstellungen, was sie im Berufsleben wollen und was nicht. Man muss als Unternehmen schon einiges zu bieten haben.“ Dazu zähle auch, die potentiellen Mitarbeiter von Anfang an bestmöglich zu behandeln. „Um sicherzustellen, dass jeder Bewerber eine Rückmeldung bekommt und auch um ausreichend Kontakt zu den Interessenten zu halten, haben wir im vergangenen Jahr ein Bewerbertool implementiert“, erzählt Silberbauer weiter. Kontakt halten, Feedback geben, das Wohlfühlklima vermitteln und Interesse sowie Wertschätzung zeigen – damit will man bei der Trodat Trotec Group einen guten Eindruck bei Bewerbern erzeugen.
Mit Erfolg, ist Jürgen Smid überzeugt, denn „wenn ein Arbeitgeber im gesamten Bewerbungsprozess versucht, schnell, transparent und fair zu sein, dann werden auch jene Kandidaten, die am Ende eine Absage erhalten, positiv über dieses Unternehmen reden.“ Das bedeutet: Der Erhalt der Bewerbung sollte bestätigt werden und Kandidaten, die nicht eingeladen werden, sollten rasch informiert werden. Bewerbern, denen man nach einem Vorstellungsgespräch absagen muss, dürfen sich eine individuelle Begründung für die Entscheidung erwarten. Das alles fasst Manfred Webersdorfer von Hill International in einem Wort zusammen: Wertschätzung. „Jeder Mensch will auf Augenhöhe behandelt werden, ein wertschätzender Umgang ist daher unerlässlich. Man sollte Kandidaten mindestens genauso wichtig nehmen wie Kunden.“ Er rät daher, Bewerber stets ehrlich darüber zu informieren, wo sie im Bewerbungsprozess stehen und ihnen respektvoll erklären, warum sie eine Absage erhalten. „Es geht immer darum, wie man etwas sagt. Wenn ich dem Bewerber erkläre, dass ich seine Kompetenzen verstehe, für diese Stelle aber diese und jene Kompetenzen erforderlich sind, dann kann er das gut aufnehmen. Wenn ich das nach 30 Minuten Gespräch merke, dann sage ich es auch ehrlich und halte ihn nicht länger hin. Das Schlimmste ist, wenn man ihm sagt, er ist eh gut, aber dann erhält er kommentarlos einen Absage, da fühlt er sich für dumm verkauft“, sagt Webersdorfer.
"Man muss als Unternehmen schon einiges zu bieten haben."
Silvia SilberbauerHead of Human Resources, Trodat Trotec Group
Wie man in den Wald hineinruft …
Und wer sich für dumm verkauft fühlt, macht seinem Ärger gern bei Gesprächen mit Freunden und Bekannten Luft. Wie kann man hingegen für eine positive Nachrede sorgen? „Indem man alle Bewerber in ihren Fähigkeiten ernst nimmt und ihnen entsprechenden Respekt entgegenbringt: Jeder Mensch, der seine Zeit für ein Projekt einbringen will, erwartet das und möchte sich keinesfalls wie ein Bittsteller fühlen müssen“, erklärt Jürgen Smid. Empfindet man ein Unternehmen als sympathisch, fällt es ungleich schwerer, über dieses schlecht zu reden – solange eine Absage individuell, zeitnah und persönlich ist. Heißt in der Praxis: „Bewerber sollen sich bei uns gut aufgehoben fühlen, damit sie uns – auch wenn es zu einer Absage für die ausgeschriebene Stelle kommt – weiterhin als potentiellen, interessanten Arbeitgeber in Erinnerung behalten und uns auch an Freunde weiterempfehlen“, so Silberbauer von der Trodat Trotec Group.
Was sind die häufigsten Fehler, die Arbeitgeber beim Bewerbungsprozess machen? „Eigentlich genau das, was Personalmanager auch an schlechten Bewerbungen kritisieren“, sagt Smid. Also standardisierte Mails mit bekannten Phrasen, die alles und nichts gleichzeitig bedeuten können und bei denen nur der Name des Empfängers ausgetauscht wurde. Noch schlimmer sind natürlich gar keine Rückmeldungen oder monatelang ausbleibende Reaktionen. Der Wandel des Arbeitsmarktes bedeutet für Personalverantwortliche also runter vom hohen Ross, um ein persönliches Gespräch in Augenhöhe führen zu können. Und in manchen Branchen darf wohl auch schon der rote Teppich für die Bewerber, Verzeihung, „Kandidaten“, ausgerollt werden._
"Wie man die Arbeitgebermarke stärkt? Indem man alle Bewerber in ihren Fähigkeiten ernst nimmt und ihnen entsprechenden Respekt entgegenbringt."
Jürgen SmidGeschäftsführender Gesellschafter, karriere.at
Candidate Experience. Zwei Erfahrungsberichte.
Julia Tischberger, 25 Jahre, absolvierte das Diplomstudium Wirtschaftswissenschaften und ist nun als Trainee in der Einkaufsabteilung eines Unternehmens angestellt, bei dem sie schon während des Vorstellungsgespräches merkte: Hier fühle ich mich wohl!
„Am Ende des Studiums habe ich vier Bewerbungen abgeschickt, bei fast allen musste ich sehr lange auf die Antwort warten. Dieses Warten ist sehr unangenehm, weil man nie weiß, woran man ist und ob man sich noch woanders bewerben soll. Ich fände es gut, wenn sich die Entscheidungsprozesse nicht über Monate hinziehen würden – das war bei mir leider immer der Fall. Was einen guten Eindruck auf mich machte? Zunächst natürlich eine rasche Antwort auf das Bewerbungsschreiben und bei einem Vorstellungsgespräch, wenn sich der Gesprächspartner auf sein Gegenüber einlässt und sich für ihn interessiert. Einen schlechten Eindruck hingegen machen Standardantworten.“
Sylvia Buchroithner, 33 Jahre, absolvierte ihr JUS Studium im zweiten Bildungsweg und befindet sich nun mitten im Bewerbungsprozess.
„Die Arbeitgebermarke spielt für mich eine große Rolle – unter Rechtspraktikanten spricht man sich natürlich ab und weiß daher, wer ein guter Arbeitgeber ist. Bis jetzt hatte ich drei Vorstellungsgespräche: Eines davon lief ganz klassisch mit den typischen Fragen ab, eines davon war ein Hearing und das dritte ein sehr unkompliziertes, persönliches Einzelgespräch, bei dem ich mich irrsinnig wohl gefühlt habe, weil es vielmehr ein Miteinander-Kommunizieren als ein Frage-Antwort-Prozess war. Da merkt man gleich, wie menschlich das Unternehmen ist. Bei meiner Entscheidung geht es schon sehr darum, dass mir die Personen sympathisch sind, wenngleich Dienstzeiten und andere Hardfacts natürlich auch eine Rolle spielen.“