Geschäftsmodelle werden in Frage gestellt, Arbeitswelten völlig neu gestaltet, Vertriebs- und Kommunikationswege verlassen, um Wege einzuschlagen, die es vorher noch nicht gab. In der Wirtschaft verändert die Digitalisierung gerade alles. Doch was macht sie eigentlich mit der Politik und ihrer Art, mit dem Volk zu kommunizieren? Während man längst darüber nachdenkt, wie und ob künstliche Intelligenz vielleicht bald die Welt regiert, setzen Politiker ihre Arbeit fort wie eh und je. Oder doch nicht? Wir fragen Wolfgang Hattmannsdorfer. Er ist Landesgeschäftsführer der Oberösterreichischen Volkspartei, Landtagsabgeordneter und Experte für Politikkommunikation.
Die Medienwelt verändert sich gravierend durch die Digitalisierung. Jeder hat heute die Möglichkeit, Informationen nicht nur zu konsumieren, sondern selbst zu produzieren und zu streuen. Jeder kann Meinungsbildner und Multiplikator werden. Wert und Relevanz einer Botschaft werden zunehmend daran bemessen, wie oft diese geliked, geteilt und kommentiert wird. Was bedeutet das für die Kommunikationsarbeit in der Politik?
Hattmannsdorfer_Neben dem Wirtshaus-Stammtisch hat nun das Internet eine enorm hohe Bedeutung gewonnen. Wenn man bedenkt, dass 50 Prozent der Bevölkerung soziale Medien häufig nutzen, dann hat das natürlich eine Relevanz. Es geht aber um den richtigen Medienmix. Wer glaubt, die neue Zeit bedeute, dass es keinen Stammtisch und keine Veranstaltungen mehr gebe, der bildet nicht das reale Leben ab. Die Herausforderung ist, mehrere Kanäle parallel zu bedienen. Die entscheidende Frage ist, welche Botschaft zu welchem Kanal passt. Eine Instagram-Botschaft wird immer eine andere sein als eine Facebook-Botschaft und das Erlebnis im Bierzelt wird auch immer ein anderes sein. Ich glaube, dass der persönliche Kontakt nach wie vor eine ganz wesentliche Rolle spielt. Das konnte man ja jetzt auch am Beispiel von Thomas Stelzer sehen. Mit der „Thomas Stelzer persönlich“-Tour haben wir ein Veranstaltungsformat quer durch Oberösterreich umgesetzt, in dem jeweils 60 Minuten über Politik, Privates und das Land der Möglichkeiten diskutiert wurde. Da haben sie uns regelrecht die Tür eingerannt – ich glaube, die Menschen haben sehr wohl immer noch das Bedürfnis, in persönlichen Kontakt zu treten, das funktioniert im Internet nicht auf diese Art und Weise. Und dieser Kontakt ist auch für uns als Partei wichtig – den Erfolg dieses Formates machte ja auch aus, dass das Fragesetting extrem kritisch war und wir dadurch wichtiges Feedback bekommen haben. Die Besucher der klassischen Sonntagsreden werden immer weniger, die Leute wollen vielmehr dann kommen, wenn es wirklich um etwas geht, wenn nachgefragt und diskutiert wird. Die Allerwelt-Reden funktionieren nicht mehr. Denn was ist dabei herausgekommen? Wir haben in unseren Sonntagsreden immer gesagt, dass wir keine neuen Schulden machen dürfen. Und dann wurden Jahr für Jahr neue Schulden gemacht. Die neue Zeit bedeutet, dass im OÖ Landtag ein Gesetz beschlossen wurde, das verbietet, mehr auszugeben als einzunehmen. Das zeigt diesen Paradigmenwechsel „nicht nur reden, sondern auch tun“ auf.
Um die Macht zu erlangen, solche Gesetze zu beschließen, gilt es aber zunächst, die Wähler zu überzeugen. Was ist der digitale Plan der ÖVP für die Nationalratswahl?
Hattmannsdorfer_Für die Nationalratswahl haben wir eine eigene Abteilung für digitale Kommunikation, für die letzte Landtagswahl hatten wir eine Social-Media-Werkstätte. Früher war „digital“ im Kampagnenmanagement irgendein Anhängsel in der zweiten oder dritten Reihe, das wurde vom Pressesprecher in irgendeiner Form mitbetreut. Heute ist bei modernen Kampagnen „digital“ eine ganz entscheidende Disziplin und damit Führungsaufgabe. Es funktioniert nicht, dass digitale Kommunikation eine Freigabe-Schleife von einer Woche braucht. Digital erfolgreich zu sein bedeutet, die Agierenden mit gewissen Befugnissen auszustatten.
Wie immer man zu Donald Trump stehen mag, er hat es wie kein anderer Politiker geschafft, die digitalen Kommunikationskanäle während des Wahlkampfes zu seinem Vorteil zu nutzen. Er beherzigte dabei aber auch die Regeln der digitalen Aufmerksamkeit: personalisieren und dramatisieren sowie „bad news are good news".
Hattmannsdorfer_Ich glaube, man kann online, wo ja vor allem vereinfacht, verkürzt und penetriert wird, eine Zeit lang gut überleben oder eben durch einen Wahlkampf kommen. Aber irgendwann muss man dann auch den Wahrheitsbeweis antreten. Das ist es, was Trump gerade in Amerika erlebt. Und ich denke, das erleben wir jetzt auch in Österreich, wenn man sich etwa die Nationalratswahl ansieht. Der Absturz der FPÖ in allen Umfragen zeigt, dass es nicht nur darum geht, gewisse Themen und Stimmungen zu bedienen, sondern am Ende des Tages auch den Leistungsnachweis zu erbringen. Unser Erfolgsrezept ist sicher nicht, laut und schrill zu sein. Für uns muss die Frage sein, wie wir unsere Botschaften und unser Programm emotional übersetzen können. Mit Sebastian Kurz ist plötzlich einer da, der zwar ähnliche Themen bedient, aber mit dem großen Unterschied, dass er es auf einer Lösungsseite macht. Der Populismus im Internet ist weder Strategie noch Programm. Natürlich sind populistische Themen und Anti-Themen im Netz bevorteilt – Donald Trump hat mit einer starken Antibewegung, alles zu verkürzen und mit Lügen zu garnieren, einen Wahlkampf gewonnen. Aber ob er die Amtsdauer als Präsident damit überlebt, ist fraglich. Ich bin überzeugt, dass Populismus nicht das Ende der seriösen Politik bedeutet. Man kann seriöse Politik machen, aber man muss auch volksnah kommunizieren. Wenn man nur dem Volk nach dem Mund redet und Mehrheitspolitik betreibt, dann wird die eigene Politik vom Agenda-Setter zum Agenda-Surfer und dann kann man keine Richtung mehr vorgeben. Ein Leader darf nicht nur die Mehrheitsmeinung vertreten, sondern muss in eine Richtung gehen und versuchen, die Menschen mitzunehmen. Er soll vorangehen und aus Überzeugung kämpfen, anstatt nur zu imitieren. Ich glaube, man kann mit Populismus im Internet sehr gut Luftschlösser aufbauen, auf Dauer kann man darin aber nicht wohnen. Trump ist das beste Beispiel dafür.
Wie möchte hingegen die ÖVP den Wahlkampf gewinnen?
Hattmannsdorfer_Natürlich hat die Digitalisierung auch für unsere Kommunikation eine enorme Bedeutung, wenn man bedenkt, dass Sebastian Kurz 690.000 Facebook-Fans hat. Es gibt eine Unterstützerplattform, die sehr stark online betrieben wird. Doch es geht nicht nur um Kommunikation, sondern auch um Partizipation. Man muss die Veränderung der Kommunikation als Chance nutzen, aber die Königsdisziplin ist es, über das Internet wieder eine Partizipation zu schaffen. Die Kunst ist, die Leute, die dir digital folgen, nicht nur als Follower, sondern auch als Aktivisten zu gewinnen. Unser Ziel muss daher sein, die Digitalaktivisten zu identifizieren. So wie wir den Zettelverteiler als Aktivisten haben, brauchen wir auch den Aktivisten im Internet, der dort seine Meinung verbreitet.
Das Internet ermöglicht aber auch, falsche Informationen zu verbreiten.
Hattmannsdorfer_Ganz entscheidend ist die Demokratisierung der Kommunikation, aber das Problem in den Social Media Kanälen ist, dass eine Botschaft ungefiltert verbreitet werden kann. Und eine Kultur der Widerrede, der Pro- und Kontraargumentation, ist im Internet insofern schwieriger, weil gewisse gesellschaftliche Standards und Barrieren hier sehr niedrig sind. Aber grundsätzlich ist Social Media nichts anderes als ein digitaler Stammtisch. Das Argumentieren und Diskutieren funktioniert gleich, nur die Verstärkung ist eine andere. Die große Herausforderung liegt auf zwei Ebenen. Erstens: Wie kann hinterfragt werden, was stimmt und was nicht? Zweitens: Die Zivilcourage muss sich im Internet erst etablieren. Wenn du in einen negativen Shitstorm gerätst, rollt dich die Walze nieder. Damit das verhindert werden kann, braucht es Bewusstseinsarbeit. So wie man Kindern beibringt, jemandem aufzuhelfen, wenn er auf der Straße stürzt oder einzuschreiten, wenn jemand auf einen Schwächeren losgeht. Dieser Entwicklungsprozess der virtuellen Zivilcourage ist erst in den Anfängen.
Medienwissenschafter Andreas Dörner sagt: „Wer die Wähler erreichen will, der muss auch Facetten seines Selbst darstellen, die über die klassische Funktionsrolle des Politikers hinausgehen.“ Allerdings habe das Publikum sehr feine Antennen dafür, ob jemand authentisch erscheint. Wie persönlich werden sich die ÖVP-Politiker zeigen?
Hattmannsdorfer_Am Ende des Tages geht es um Authentizität. Und die hat meiner Meinung nach Christian Kern massiv beschädigt. Deshalb ist für uns klar: Thomas Stelzer ist im Internet nicht anders als im echten Leben. Er ist ein Landeshauptmann, der entscheidet und die Dinge auf den Punkt bringt. Und natürlich geht es dabei auch um die private Person. Wenn du dabei aber in der Kommunikation nicht authentisch bist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis du überführt wirst.
Die Pizza-Geschichte liegt der SPÖ Ihrer Meinung nach also noch im Magen?
Hattmannsdorfer_Ich glaube, dass das Problem der SPÖ oder von Christian Kern nicht durch die Pizza-Geschichte verursacht wurde, aber sie ist Ausdruck dessen. Wenn ein Bundeskanzler sagt, 95 Prozent seines Geschäftes seien Inszenierung, dann brauche ich keinen Bundeskanzler. Es sollte umgekehrt sein – 95 Prozent sollen auf das Regieren des Landes fallen, fünf Prozent bleiben für die Darstellung. Ich würde natürlich lügen, wenn ich behaupten würde, dass die Darstellung für uns nicht wichtig ist. Aber das Verhältnis muss stimmen. Ich will keinen Bundeskanzler, der als Pizzabote durch das Land fährt. Ich will einen Bundeskanzler, der regiert, der entscheidet, der dieses Schiff Österreich steuert. Pizza verteilen kann jeder – ein Land zu führen bedeutet schon, bestimmte Eigenschaften, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu haben, die es für Leadership braucht. Und Leadership ist in der neuen Kommunikation enorm wichtig._