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Auf C(r)ashkurs?

Stellen Sie sich vor, es gibt einen Wirtshausstammtisch, an dem sich die gesamte Wirtschaft, Steuerexperten und Volkswirte aus Österreich treffen. Woche für Woche gibt es nur ein Thema, das hier immer wieder für Gesprächsstoff sorgt: das Steuersystem. Zu hoch sei der Steuersatz, zu komplex das Steuerrecht und überhaupt - alles eine Katastrophe.

Nun sitzen wir aber nicht an einem Tisch im Wirtshaus, der Ort des Geschehens nennt sich „Melbourne“ und das Gebäude, in dem sich dieser gediegene Raum befindet, ist das Firmengebäude von KPMG. Um diesen Tisch sitzt auch nicht ganz Österreich. Aber immerhin drei namhafte Vertreter davon: Friedrich Schneider, Professor an der JKU und einer der einflussreichsten Ökonomen im deutschsprachigen Raum, Anette Klinger, Geschäftsführerin der IFN Beteiligungs GmbH mit der bekannten Marke INTERNORM sowie Thomas Walter, Steuerexperte und Partner bei KPMG, sind gekommen, um herauszufinden, was es wirklich brauchen würde, damit Wirtschaftsräume wie Oberösterreich wieder ein attraktiverer Standort für Unternehmen sein können.

Beginnen wir gleich mit einem – vor allem für ein Wirtschaftsland wie Oberösterreich – sehr wesentlichen Thema: dem Steuersatz. Natürlich ist der Steuersatz nicht der einzige Faktor, der im Standortwettbewerb zählt, aber er hat dennoch eine Signalwirkung. Vielleicht vergleichbar mit einer Verpackung: Zuerst liest man das Großgedruckte – den Steuersatz. Für das Kleingedruckte – Steuerbefreiungen, Absetzmöglichkeiten – braucht man schon einen genaueren Blick. Ist es wichtig, dass der Steuersatz gesenkt wird?

SchneiderBei den direkten Steuern wäre eine Senkung gut, weil sie unternehme- risches Schaffen stärker belohnen würde - was bisher nicht der Fall ist. Meine Forderung: Eine Senkung des Eingangssteuersatzes auf höchstens 20 bis 25 Prozent. Hohe Steuern im Bereich der direkten Steuern bedeuten für den Wirtschafts- standort ja auch, dass Unternehmer und Wirtschaftstreibende überlegen: Wo gehe ich hin? Wo investiere ich? Sämtliche Ausnahmeregelungen, wie dass man das Dienstauto und Ähnliches absetzen kann, gehören hingegen radikal abgeschafft. Das würde eine Steuerreform auch sofort möglich machen.

KlingerEs gibt drei große Themen: Erstens die Attraktivität des Standortes Österreich. Der Wettbewerb ist deutlich stärker geworden. Man muss sich als Unternehmer jetzt ganz genau überlegen wo man investiert und produziert. Der zweite Punkt ist das Thema Leistungsanreiz. Bei niedrigen Einkommen ist es durch die derzeitige Einkom- menssteuertarife unattraktiv mehr zu arbei- ten oder etwas mehr zu verdienen. Und ein drittes großes Thema ist Rechtssicherheit. Regelungen werden laufend angepasst und nachgebessert. Das verunsichert.

Kann man in diesem Sinne Fenster und Türen überhaupt noch in Österreich produzieren?

KlingerJa wenn man innovative Produk- te hat, die nicht so preissensibel sind und wenn man hoch automatisiert produziert. Allerdings unterstützt die aktuelle Wirtschaftslage eine hohe Preissensibilität. Es muss uns Österreichern bewusst sein, dass Leistung aus Innovationen und österreichische Qualität auch etwas wert sind.

Ihr Appell also an die Politik?

KlingerDringend sind die Themen Lohnsteuersenkung, Verwaltungsvereinfachung und Richtungsklarheit.

WalterIch sehe aber weder bei der Politik noch in der Bevölkerung das Bewusstsein, dass der Steuersatz gesenkt werden muss. Denn wenn ich mir die Diskussionen über Reichen- und Vermögenssteuern anhöre, dann ist man in Österreich offenbar sehr stark darauf fokussiert, neue Einkom- mensquellen zu erschließen, um nicht das zu machen, was wirklich notwendig ist und was Frau Klinger eben angesprochen hat: nämlich einsparen und Strukturen ändern. Der erste Punkt wäre, den Mut zu haben, sich hinzustellen und zu sagen: Wir müssen an beiden Stellen etwas tun.

KlingerWir gehören zu den Ländern weltweit mit den höchsten Steuern. Darunter sind aber auch Länder, wo die Bevölkerung hochzufrieden ist wie etwa Dänemark. Die sagen, wir zahlen viele Steuern, aber wir fühlen uns gut, unser System ist toll.

SchneiderSchon in den 80er Jahren war es zum Beispiel in Dänemark eine Selbstverständlichkeit, dass es Ganztageskinder- gärten und –schulplätze gibt. Die Dänen können von einem kompletten Netz an Leistungen profitieren, sodass sie immer wieder sagen: Meine Steuerbelastung ist wesentlich höher, aber ich bekomme dafür viel mehr vom Staat zurück. Das haben wir bis heute nicht geschafft. Wir tun in vielen Bereichen sehr viel, aber in vielen anderen wie Bildungspolitik sind wir in der Leistungserbringung lausig schlecht. Und teuer. Es muss uns klar sein, dass wir ein Problem haben.

Ein Problem, zu dem auch die Bankenkrise ihren Teil beigetragen hat?

SchneiderDas Thema Steuergerechtigkeit spielt schon auch eine große Rolle. Der kleine Mann sagt: Warum soll ich jetzt für die Banken zahlen? Das Fatale war ja, dass der Staat damit Fehlverhalten belohnt hat.

KlingerWenn ich im Unternehmen etwas in den Sand setze, dann muss ich dafür die Verantwortung tragen. Belohnen geht nicht!

SchneiderGenau, und deshalb habe ich als Experte der EZB gleich davor gewarnt, Fehlverhalten in großem Ausmaß zu belohnen.

WalterDoch wer ist letzten Endes dafür verantwortlich, dass wir jetzt in diesem System sind? Das ist der Gesetzgeber, die Öffentlichkeit. Dass man jetzt die Banken auffangen muss, weil eine Insolvenz von Banken in Europa im System nicht vorgesehen war, das ist nicht die Schuld der einzelnen Banken, auch nicht die Schuld des einzelnen Bürgers. Es ist grundsätzlich ein systemisches Problem.

SchneiderWas mir fehlt in Österreich ist eine Diskussion zur Frage der Haftung, wenn ich mich fehlverhalte. Denn im normalen Unternehmen ist es so: Wenn Sie die falschen Fenster bauen und nichts mehr verkaufen, dann ist es aus. Und wenn Sie das wissentlich oder halbwissentlich machen, dann wird man Sie zur Rechenschaft ziehen und dann haben wir die übliche Insolvenz mit allen Konsequenzen. Da haben Sie völlig Recht, man kann nicht sagen, bei den Banken gilt das nicht. Das ist mein Kritikpunkt – dass leider keine Reaktion darauf folgte, dass es weniger wahrscheinlich gemacht wird, dass es in Zukunft wieder passiert. Die Steuern und die Belastungen wurden angehoben, damit bin ich auch nicht einverstanden.

WalterNoch kurz zu Ihrer Aussage, über Haftungen müsse nachgedacht werden – da bin ich Ihrer Meinung. Wirtschaftliche Entscheidungen sind immer unsicher. Ich möchte nicht kriminelle Taten rechtferti- gen, aber eine Entscheidung, die heute un- ter bestimmten Voraussetzungen zu treffen ist, ist bei einem wirtschaftlichen Prozess, der über mehrere Jahre stattzufinden hat, schwer zu rekonstruieren. Wir müssen entscheiden, welche Sachverhalte vor Gericht gehören und welche nicht. Wenn wir unsere wirtschaftlichen Entscheidungen in einem so breiten Ausmaß vor den Gerichten über viele Jahre austragen, dann frage ich mich, wer in Österreich dann noch bei so einem Haftungsgefüge Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen will. Und die schlechteste Entscheidung ist immer jene, die nicht getroffen wird.

Geht das Steuersystem also nicht mit der sich immer schneller verändernden Zeit konform?

WalterVollkommen richtig. Die Komplexität des Steuersystems ist ein Problem. Wir wissen erst in ein paar Jahren wie die Steuergesetze ausgelegt werden. Das heißt, ich muss in drei bis vier Jahren für etwas haften, das ich heute unter ganz anderen Bedingungen entschieden habe. Dieses ganze Haftungsgefüge trägt nicht dazu bei, dass ich mich in Österreich als Unternehmen gut bewegen kann.

KlingerIn der Standortfrage spielt das natürlich schon eine große Rolle. Will ich investieren, frage ich mich: Kann ich nun auf dieses System setzen oder ist das in zwei

Jahren komplett anders und habe damit die falsche Entscheidung getroffen.

Wie gehen Sie im Unternehmen mit dem Thema Steuern um? Haben Sie im Unternehmen eigene Steuerexperten, oder setzen Sie eher auf externe Berater?

KlingerDu brauchst beides – sowohl die interne als auch die externe Kompetenz. Weil die Steuergesetze mittlerweile unglaublich komplex sind. Wir hatten ein gutes Steuergesetz mit klaren Richtlinien, aber da wurde immer wieder etwas daraufgesetzt, der Kodex wächst jedes Jahr. Und durch dieses Daraufsetzen entstehen Unsicherheiten, die eigentlich unzulässig sind.

Haben sich die Kosten für den Aufwand im Laufe der Jahre verändert?

KlingerEnorm! Man wird im Bereich der kaufmännischen Verwaltung effizienter durch EDV-unterstützte Systeme, es werden aber nicht sehr viel weniger Leute und die müssen immer höher qualifiziert sein.

SchneiderWir haben ein hoch komplexes Steuersystem, das zum Teil nicht einmal mehr Spezialisten verstehen. Und daher wäre mein Vorschlag – mit dem man mit Sicherheit vier bis fünf Milliarden einsparen könnte – wesentlich einfachere Steuergesetze, wesentlich weniger Ausnahmen. Das könnte Hand in Hand gehen mit Subventionskürzungen, womit wieder einiges eingespart werden könnte. Wir müssen die Belastung auf der Ausgabenseite abbauen, sonst kommen wir nie gegen die Verschuldung an. Schweden hat beispielsweise eine Staatsverschuldung von 40 Prozent, wir haben 80 Prozent – und in Schweden schläft niemand unter der Brücke.

WalterDas ist der Punkt: Die Gerechtigkeit hat nichts mit der Höhe der Steuerabgaben zu tun. Ich kann auf jedem Abgabenniveau Gerechtigkeit herstellen.

SchneiderSchweden ist genau den umgekehrten Weg gegangen, wir müssten es ihnen nur nachmachen. Auch Deutschland gelingt es langsam, mit den laufenden Einnahmen die laufenden Ausgaben zu decken. Wir müssen einen lebendigen Föderalismus schaffen. Wenn die Landeshauptleute mehr Verantwortlichkeit hätten, dann würden sie ganz anders mit den Steuergeldern umgehen. Und was ganz klar ist: Die Komplexität des Steuersystems ist viel zu hoch. Viele Länder haben uns vorgemacht, dass eine Vereinfachung möglich ist. Aber dazu fehlt der politische Gestaltungswille. Wenn man endlich aufhören würde, gezielte Arbeitnehmergruppen zu bevorzugen und alle gleich behandelt, dann würde es gelingen, einiges an Ausgaben einzusparen. Der größte Brocken sind natürlich die Transfers für die Pensionen. Wenn wir es nicht schaffen, das Regelpensionsalter auf 65 Jahre anzuheben – und davon sind wir meilenweit entfernt – und die Privilegierung bestimmter Gruppen aufzuheben, dann nützt das einfachste Steuersystem nichts, weil uns die Ausgaben davon laufen. Der Schwerpunkt in dieser Legislaturperiode sollte wirklich sein, endlich mal die großen Brocken anzugehen. Und auch hier müssen wir nur wieder nach Skandinavien schauen.

WalterAusnahmen zu streichen ist ein guter Vorsatz! Ausnahmen bringen Komplexität ins Steuersystem, daher ist es gut, wenn man sich jede Ausnahme zur Hand nimmt und anschaut, warum es diese überhaupt gibt. Natürlich braucht es auch manche Ausnahmen, um bewusst Anreize zu setzen. Aber ich muss die Vielzahl an kleinen Ausnahmen beenden – diese bedeuten nur Verwaltungsaufwand und haben weder einen Lenkungseffekt noch systemische Grundlagen.

KlingerAus der Schweiz hat mir ein Ansatz aus dem Förderwesen sehr gut gefallen. Förderungen sind dort für einen bestimmten Zeitraum definiert und laufen dann ab. Dann muss ich mir überlegen: Sind die Kriterien, die ich erreichen wollte, erfüllt worden? Dann kann ich sie neu beschließen. Oder soll ich die Kriterien ändern oder fällt die Förderung weg? Ähnliche Themen müsste man bei uns andenken. Bei uns laufen aber die Dinge einfach ewig.

SchneiderDie Wohnbauförderung ist so etwas. Brauchen wir noch eine Wohnbauförderung? Bis heute wird nicht richtig überprüft, ob ich mit dem Geld nach Hawaii fahre oder es ins Häusl stecke. Genau hier hätten wir Einsparungsbedarf. Jede Förderung sollte mit einem Automatismus versehen werden, sodass sie spätestens zum Ende der Legislaturperiode ausläuft – oder früher. Diese Einsparungen wären entscheidend für die Senkung der Lohnnebenkosten – wir müssen den Faktor Arbeit entlasten! Denn wir leben von unserem Hirnschmalz, von unseren Arbeitskräften.

WalterMan könnte auch bei Auszahlungen wie der Familienbeihilfe ansetzen. Diese könnte einkommensabhängig ausgestaltet werden. Die dabei erzielten Einsparungen könnten insbesondere in Kinderbetreuungsplätze investiert werden.

SchneiderDie Familienförderung ist das aufwendigste und ineffizienteste System, das wir in ganz Europa haben. Und es führt nicht dazu, dass mehr Kinder in die Welt gesetzt werden. Sie haben absolut Recht, Herr Walter: Die Familienbeihilfe ist ein reiner Mitnahmeeffekt. Schaffen wir das ab, stecken wir es lieber in die Institutionen. Das wäre viel sinnvoller.

KlingerJa, denn als Unternehmen bin ich nicht begeistert, wenn das Thema Kinderbetreuung in den Betrieb transferiert wird. Ich bin Mutter, also bitte nicht falsch verstehen. Aber ich sehe es nicht als meine unternehmerische Aufgabe, einen Kindergarten zu betreiben – dafür zahle ich Steuern. Natürlich, wenn ich sehr dezentral liege und besondere Bedürfnisse habe, dann kann es sinnvoll sein, eine Kinderbetreuungsstätte vor Ort zu machen. Aber nicht als allgemeiner Tenor: Wir kriegen es nicht hin, deswegen sollt ihr es bitte machen.

WalterIch glaube, da schließt sich der Kreis zum Beginn. Es geht nicht darum, dass wir jetzt neue Ideen kreieren müssen, wo wir sinnvoll Strukturen ändern können und wo wir einsparen können – da hat es in den vergangenen Jahren unzählige Kommissionen und Gremien gegeben, die Tonnen an Papier mit Lösungen produziert haben – gutes Papier. Man müsste einfach mal den Mut haben, diese Dinge auf den Tisch zu legen, durchzudiskutieren und abzuarbeiten. Man müsste auch einmal dazu stehen, dass wir ein Problem haben. Näm- lich ein Ausgabenproblem. Dass bei so einer großen Reform jeder dran kommt beim Sparen ist klar. Das soll auch so sein.

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