Werner Steinecker, Generaldirektor des wichtigsten oberösterreichischen Energielieferanten, der Energie AG, erzählt uns im Interview, welchen Energiemissverständnissen die Politik erliegt, warum die langfristige Energiezukunft vermutlich nicht in der Photovoltaik- oder Windenergie liegt – und wie er selbst Energie tankt.
Es ist jetzt gerade in dem Moment, in dem wir dieses Interview starten, 15:10 Uhr. Wie viel Energie haben Sie um diese Zeit für gewöhnlich schon verbraucht?
STEINECKERMein Tag beginnt traditionell um 7:30 Uhr, je nach Tagesprogramm arbeite ich entweder durch oder es gibt vielleicht ein kurzes Mittagessen. Ich habe mir meinen täglichen Tagesbedarf auf meiner Apple Watch angesehen: Ich komme deutlich über 1.000 Kilokalorien täglich. Insgesamt bin ich mit meinem Tagesablauf zufrieden – es geht meist sehr dynamisch zu.
Was raubt Ihnen zurzeit die meiste Energie?
STEINECKERSo löblich in Coronazeiten die Selbstverständlichkeit von Videokonferenzen und Homeoffice ist: Das Thema ist mittlerweile ein ziemlicher Energieverbraucher geworden. Warum? Weil die Video- und Telefonkonferenzen nahezu minutiös durchgetaktet sind, dazwischen gibt es keine Ruhephasen. In einer Managementfunktion braucht man aber Zeiten dazwischen, in denen jemand mit einer Unterschriftenmappe kommt oder ein dringendes Telefonat durchgestellt wird.
Was sind Ihre wichtigsten Tankstellen, um nach einem langen Tag wieder Energie aufzuladen?
STEINECKERHinaus in die Natur zu gehen, um mich dort wieder zu regenerieren. Was ich sehr genieße, wenn es der Tagesablauf zulässt: Wenn ich heimkomme, schnappe ich mir meinen Hund und gehe in den Wald hinter meinem Haus. Da kriege ich die Lungen voll und den Kopf leer – das tut gut.
Wohin fließt momentan die meiste Energie?
STEINECKERViel Energie fließt in Koordinierung, Besprechungen, die Suche nach notwendigen Neuaufstellungen. Schon vor Corona waren fast monatlich passierende gesetzliche Neuaufstellungen eine Herausforderung. Gesetze, die in immer kürzeren Intervallen auf unsere Branche einschlagen und zum Teil dramatische Paradigmenwechsel nach sich ziehen. Für den Bürger selbst ist die tadellose Energieversorgung wichtig. Die muss ohnehin gelingen. Die gesetzlichen Notwendigkeiten rundherum, die sich meist irgendwer in Wien einfallen lässt, binden aber viel Energie.
Welche klassischen Missverständnisse zum Thema Energie gibt es in der Bevölkerung – oder speziell in der Politik?
STEINECKERDer klassische Irrtum, dem auch die meisten Politiker unterliegen, ist: Wenn von Energiesparen gesprochen wird, wird eigentlich Stromsparen gemeint. Tatsächlich hat Strom am Gesamtenergiekuchen aber lediglich einen Anteil von knappen 20 Prozent. Die größten Anteile am Energieverbrauch nehmen die Bereiche Verkehr, sowie Raumwärme – und damit meist fossile Energieträger – ein. Aber wenn Politiker in Wien zum Thema Energiesparen Gesetze aushecken, meinen sie damit eigentlich das Stromsparen. Wenn von der Energiewende die Rede war, ist immer hauptsächlich die Stromwende gemeint gewesen. Zu Themen wie Verkehr oder Raumwärme ist – außer Häuser isolieren – bisher noch nicht recht viel gekommen.
Wo sollte also angesetzt werden?
STEINECKERDer Verkehr wird das große Schlüsselthema weltweit werden. Damit ist auch der Schiffsverkehr gemeint – einige große Frachtschiffe emittieren dasselbe CO2 wie alle PKW der Welt gemeinsam. Die Zukunft liegt mit Sicherheit in der Elektrifizierung des Verkehrs. Damit meine ich aber nicht automatisch die Batterieelektrifizierung. Ich glaube, dass die Brennstoffzellentechnologie das große Thema sein wird. Die weltweit führende PKW-Elektro-Nation ist China. Und dort wendet man sich immer mehr von der batteriebetriebenen Elektrifizierung ab und hin zur wasserstoffbetriebenen Elektrifizierung.
Stichwort Innovation: Für Energieinteressierte sind derzeit vermutlich spannende Zeiten. Der chinesische Kernfusion-EAST-Reaktor hat kürzlich einen wichtigen Rekord gebrochen und erreichte eine Plasmatemperatur von 120 Millionen Grad Celsius für 101 Sekunden. In den USA ist es der Firma TAE Technologies gelungen, durch Kernfusion stabiles Plasma bei 50 Millionen Grad Celsius zu erzeugen. Durch diese Technologie könnten alle Energieprobleme der Welt mit einem Schlag gelöst und andere Technologien obsolet werden. Wie genau verfolgen Sie die Entwicklungen?
STEINECKERDas ist in der Tat ein wahnsinnig spannendes Thema. Die Mutter aller Fragen zum Thema Energieversorgung ist die Bevölkerungsexplosion. 2100 werden laut Prognosen elf Milliarden Menschen auf der Erde leben. Wenn man den europäischen Lebensstandard hernimmt, verträgt der Planet aber nur knapp zwei Milliarden Menschen. Genau diesen Lebensstandard wollen aber Menschen in allen Teilen der Welt. Die Versorgung mit ausreichend Energie bei einer ständig zunehmenden Weltbevölkerung wird eine enorme Herausforderung. Ich glaube, dass die Kernfusionstechnologie dabei eine Rolle spielen kann. Die Energiezukunft, auch wenn man für solche Aussagen momentan gesteinigt wird, liegt nicht in der Photovoltaik und nicht in der Windenergie. Wir werden in Zukunft unglaubliche Mengen an Energie brauchen – die kann durch Kernfusions- und Wasserstofftechnologie geliefert werden. Es wird aber noch einiges an Zeit und Ressourcen benötigen, bis die Menschheit so weit ist. Ich wünsche mir eine ähnliche Entwicklungsrasanz, wie wir sie beim Coronaimpfstoff hatten.
Sind solche potentiellen Disruptionen in der Branche nicht eine Gefahr für etablierte Konzerne wie die Energie AG – wenn sie mit einem Schlag alle Energieprobleme der Welt lösen könnten?
STEINECKERIn Österreich ist die Wasserkraftnutzung traditionell sehr etabliert, ich glaube, dass sie auch noch in 200 bis 300 Jahren Relevanz haben wird. Die Frage bei neuen Energiequellen ist zudem auch immer, wie diese Energie zu uns kommt. Ein Kerngeschäft der Energie AG – etwa 30 Prozent unseres Geschäfts – ist der Energietransport. Unser Leitungssystem muss ständig weiterentwickelt werden – egal ob die Energie durch Photovoltaik, aus einem Ölkraftwerk oder eben durch Kernfusion gewonnen wird.
Im Jänner wäre das europäische Stromnetz fast kollabiert. Wie haben Sie persönlich die Situation miterlebt?
STEINECKERKernstück unseres Netzmanagements ist ein Hochsicherheitsgebäude in Linz-Wegscheid – über solche außergewöhnlichen Ereignisse kriege ich vom System automatisch eine Benachrichtigung als E-Mail oder per SMS auf mein Handy. Die Lage war tatsächlich kritisch, das Sicherheitssystem des europäischen Netzes hat aber gut funktioniert: Um die sinkende Frequenz abzufangen, wurde innerhalb von Sekunden die Leistung in hunderten Kraftwerken in Europa erhöht.
Welche Meilensteine stehen der Energie AG in naher Zukunft bevor?
STEINECKERBesonders wichtig für das Gelingen der Energiewende wird das Pumpspeicherkraftwerk in Ebensee, das benötigt wird, um alternative Energie speichern zu können. Wichtig wird außerdem ein weiterer Ausbau der Traunkette, wir werden von Steyrermühl abwärts bis Lambach fünf alte Traunkraftwerke revitalisieren und modernisieren. Weiters beteiligen wir uns massiv am Photovoltaikausbau.
Was verbinden Sie eigentlich selbst mit dem Begriff Energie?
STEINECKEREnergie ist das Lebenselixier schlechthin. Ohne Energie, und das war schon immer so, ist kein Leben, keine Entwicklung auf diesem Erdball – oder wahrscheinlich in unserem Sonnensystem – möglich._