Das österreichische Sozialsystem wurde durch die Coronakrise einer Prüfung unterzogen. Welche Stärken und Schwächen sind durch die Krise Ihrer Meinung nach im letzten Jahr sichtbar geworden?
HAIMBUCHNERDie Coronakrise hat den Sozialstaat auf eine schwere Probe gestellt, die er jedoch bestanden hat. Der durch die Lockdowns verursachte Wirtschaftseinbruch konnte durch eine Vielzahl an Maßnahmen abgedämpft werden. Vor allem die Kurzarbeit sowie die Einmalzahlungen an Arbeitslose und Familien hatten einen besonders positiven Effekt. Ganz nach dem Motto „Sozial ist das, was Arbeitsplätze schafft“ soll der Sozialstaat nun auf sichere Beine gestellt werden, sodass möglichst wenige Menschen auf ihn angewiesen sind.
Wie hat sich die Coronakrise im vergangenen Jahr auf das Thema Wohn- und Hausbau ausgewirkt?
HAIMBUCHNERDurch die Zusammenarbeit zwischen der Bauwirtschaft und den gemeinnützigen Bauvereinigungen mit Politik und Verwaltung spürten wir im geförderten Wohnbau kaum Auswirkungen. Unsere bundesweite Spitzenposition im Wohnbau beruht auf einer gut geplanten Wohnbaupolitik sowie auf einem sehr guten Verhältnis zu den Wohnbauträgern und dem Bau- und Baunebengewerbe. Unser Bauprogramm wird im Voraus geplant und ausfinanziert. Das macht es weitgehend krisensicher. Außerdem läuft eine Sanierungsoffensive, im Zuge derer wir in den nächsten drei Jahren 50 Millionen Euro zusätzlich investieren.
Wohnen (Bauen, Mieten, Kaufen) ist teuer geworden. Werden die Bereiche Wohnbau und Sanierung nach der Krise Konjunkturtreiber bleiben?
HAIMBUCHNERDer Wohnbau war und ist einer der entscheidenden Konjunkturhebel in Oberösterreich. Jeder Euro, der im Bereich der Wohnbauförderung seitens des Landes investiert wird, ist gut für die oberösterreichische Wertschöpfung und bleibt zum Großteil in unserem Bundesland. Jährlich werden dadurch tausende Arbeitsplätze gesichert, was gerade während der Pandemie wichtig war. Auch jetzt, wenn wir langsam aus der Krise kommen, sind diese Effekte für den Wirtschaftsstandort Oberösterreich unerlässlich.
Im Jahr 2020 standen 280 Millionen Euro Budgetmittel in Oberösterreich für die Wohnbauförderung zur Verfügung. 51,8 Millionen wurden für die Wohnbeihilfe inklusive Covid-Wohnkostenhilfe verwendet. Welche Kriterien mussten erfüllt sein, um Unterstützung zu erhalten?
HAIMBUCHNERDie Wohnbeihilfe soll vor allem den Leistungsträgern unserer Gesellschaft zugutekommen. Die Förderung wird aus Steuermitteln finanziert und jene Personen, die in das System einbezahlt haben, sollen auch davon profitieren. Wer durch die Covid-19-Pandemie seine Arbeit verloren hat oder in Kurzarbeit geschickt wurde und keinen Anspruch auf die klassische Wohnbeihilfe hatte, konnte die Covid-Wohnkostenhilfe in Anspruch nehmen. Das waren etwa Eigenheimbesitzer oder Selbstständige, bei denen bis dahin keine Sonderberechnung des Einkommens möglich war.
Mit dem neuen Wohnungssicherungspaket möchte man erneut mit 15 Millionen Euro durch die Coronakrise in Not geratene Oberösterreicher unterstützen. Wer wird unterstützt und wie hoch sind die Fördersummen?
HAIMBUCHNERDas Wohnungssicherungspaket zielt speziell auf jene Oberösterreicher ab, die von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und der leistungsfeindlichen Lockdown-Politik der Bundesregierung besonders hart getroffen werden. Viele Haushalte, für die es bislang nie ein Problem war, ihre Wohnkosten zu bestreiten, werden im Zuge der drohenden Wirtschaftskrise kurzfristig durch Insolvenz, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit ihre Mietwohnung, ihre Eigentumswohnung oder ihr Eigenheim nicht mehr aus eigener Kraft finanzieren können. Genau diese werden mit dem Wohnungssicherungspaket finanziell unterstützt. Das Land Oberösterreich übernimmt 50 Prozent der Wohnkosten.
Vor allem Frauen sind von den Folgen der Coronakrise teilweise hart getroffen worden. Wie werden Frauen bei der Finanzierung ihrer jeweiligen Wohnsituation unterstützt?
HAIMBUCHNERFrauen leisten Großes und waren besonders in der Krise mehrfach gefordert. Arbeit, Haushalt, Familie und Lernen mit den Kindern im Homeschooling stellten eine immense Belastung dar. Wir haben daher mit Jänner 2021 die Wohnbeihilfe für Mehrpersonenhaushalte, sprich besonders für Alleinerziehende, Ehepaare mit Mindestpension sowie Familien mit Kindern massiv erhöht.
Welchen Herausforderungen blicken Sie mit Sorge entgegen, wenn Sie an die nächsten 12 Monate denken? Wie könnte man diese bewältigen?
HAIMBUCHNERLaut Experten der Agenda Austria wird die Pandemie mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass sich im Aufschwung der Bedarf an Arbeitskräften zwischen den Sektoren verschieben wird. Die Möglichkeit zu Umschulungen, gerade im Bereich der Digitalisierung, muss also weiter unterstützt werden.
Der Staat muss die Schaffung neuer Arbeitsplätze unterstützen. Österreich braucht dafür eine Gründungs- und Entbürokratisierungsoffensive, um wieder Schwung in die Wirtschaft zu bekommen und Arbeitsplätze nicht nur zu erhalten, sondern auch neue zu generieren. Zusätzlich sind auch der Verzicht auf Steuererhöhungen beziehungsweise steuerliche Entlastungen und die zielgerichtete finanzielle Förderung von Unternehmertum wichtig.
Was sollte das große Learning für das österreichische Sozialsystem sein?
HAIMBUCHNERLohnnebenkosten für neue Jobs müssen definitiv gesenkt werden. Bei Neueinstellungen sollen die Sozialversicherungsbeiträge bis Ende 2022 erlassen werden, um die Schaffung neuer Stellen zu unterstützen. Arbeitsanreize sollen durch die Senkung der Abgabenlast erhöht werden, den Arbeitnehmern muss mehr Netto vom Brutto bleiben. Eine degressive Staffelung des Arbeitslosengeldes und die Förderung von Weiterbildungsprogrammen können ein Abrutschen in die Langzeitarbeitslosigkeit verhindern.
Gibt es in Ihren Augen auch etwas Positives, dass sich das österreichische Sozialsystem oder die österreichische Gesellschaft aus der Coronakrise mitnehmen können?
HAIMBUCHNERDer Sozialstaat hat gehalten, wenn auch die gesamtwirtschaftlichen Folgen heute noch nicht abgeschätzt werden können. Die Gesellschaft hat den Restriktionen und dem Verordnungschaos auf Bundesebene gut standgehalten. Das bewerte ich bei aller Kritik als durchwegs positiv. Sollten wir aber wieder in eine ähnliche Situation wie im letzten Jahr kommen, hoffe ich, dass mit mehr Hausverstand und weniger Angstmache an die Bewältigung schwieriger Zeiten herangegangen wird._