„Finnland und generell die nordischen Länder sind natürlich um einiges weiter, was Geschlechtergleichstellung und entsprechende politische Maßnahmen und Karenzregelungen betrifft. Dennoch muss ich das ganze Thema etwas ins rechte Licht rücken“, betont Eva-Maria Schmidt. Sie forscht schon seit einigen Jahren unter anderem zu Elternschaft und Mutter- und Vaterschaftsnormen in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft. Bevor wir uns nämlich fragen, wie Österreich und Finnland die Vereinbarkeit von Familie und Beruf handhaben, müssen wir einen Schritt zurück machen, erklärt sie.
Denn all das wurzelt in unterschiedlichen kulturell-normativen Vorstellungen in Bezug auf Elternschaft und Geschlechtergleichstellung, die historisch bedingt sind und viel tiefer gehen. „Wir müssen uns beispielsweise fragen: Wem wird selbstverständlich die Hauptverantwortung in der Kinderbetreuung zugeschrieben? Wem die Hauptverantwortung für das Verdienen des Familieneinkommens? Und welches politische Ziel wird generell verfolgt – sollen Eltern Kinder bekommen und dann möglichst rasch wieder beide Vollzeit in den Beruf einsteigen oder möchte man lieber den Druck auf beide Elternteile reduzieren und ihnen damit das Kinderkriegen erleichtern? In Österreich lassen sich diese Fragen im Moment sehr eindeutig beantworten.“
Im Grunde beginnt alles noch früher, lange bevor sich eine Familie überhaupt für Kinder entscheidet. Nämlich unter anderem mit den Fragen: Wie sind Berufe bewertet? Welche werden warum von Frauen und Männern eher angedacht? „Da geht es nicht nur darum, dass Frauen vielleicht lieber Frisörinnen werden, sondern auch darum, dass Frauen Berufe wählen, in denen sie gut Teilzeit arbeiten können, beispielsweise als Richterinnen. Oder ihnen geraten wird, Lehrerin zu werden, damit sie sich im Sommer nicht um die Kinderbetreuung kümmern müssen. Männer hingegen stellen sich für sich eher Berufe vor, in denen sie viel Geld verdienen, falls sie einmal Familie haben wollen.“ Genau dort müsste man laut Schmidt zuerst ansetzen. Es sollte daran gearbeitet werden, gewisse Berufe attraktiver zu machen und die Diskrepanz zwischen Care-Berufen und ökonomisch profitbringenden Berufen aufzulösen. Generell müsse Fürsorgearbeit aufgewertet werden. Dabei geht es nicht nur um die Kinderbetreuung, sondern auch um das Sorgen für Ältere, Kranke und Menschen mit Beeinträchtigungen.
Nicht übertragbare Karenzzeiten
Die Art und Weise, wie Familie gedacht wird, wurzelt also tief im Kulturellen. Doch gibt es konkrete Maßnahmen, die wir uns von Finnland abschauen können? Ja, die gibt es! In Finnland gibt es ungefähr ein Jahr gut bezahlte Karenz, allerdings sind knappe vier Monate davon nicht übertragbar. Das bedeutet, eine Mutter kann nicht alleine das volle Jahr zu Hause bleiben. Das Kind kann nur die gesamte Zeit daheim betreut werden, wenn auch der Vater einen Teil der Karenz nimmt. Die Dauer der Karenz von Vätern verdoppelte sich in Finnland durch diese Nicht-Übertragbarkeit.
Vergleichbar ist das Modell der Nicht-Übertragbarkeit mit dem einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld in Österreich, bei dem die vierzehn Monate nur dann ausbezahlt werden, wenn der zweite Elternteil zumindest zwei Monate davon in Anspruch nimmt. „Allerdings ist das Kinderbetreuungsgeld nicht an die Karenz gekoppelt“, betont Schmidt. In Österreich wird hingegen sehr viel auf Wahlfreiheit gesetzt und bei den Karenzregelungen möglichst geschlechtsneutral formuliert. „In einem kulturellen Kontext wie in Österreich führt diese Wahlfreiheit immer dazu, dass die Karenzzeiten – wenn überhaupt – nicht gleichberechtigt aufgeteilt werden.“ Über Europa hinweg lässt sich feststellen, dass Väter eher in Karenz gehen, wenn sie älter sind, wenn es das erste Kind ist, wenn sie selbst gut verdienen und wenn die Partnerin einen gut bezahlten Job und eine gute Ausbildung hat.
Hoher Druck auf beiden Seiten
Generell steigt aber sowohl für Väter als auch für Mütter der Vereinbarkeitsdruck. Frauen erledigen zwar nach wie vor den Großteil der Kinderbetreuungsarbeit – 83 Prozent aller Kinder in Österreich werden in der Karenzzeit nur von Frauen betreut. Aber auch Männer verspüren einen stärkeren gesellschaftlichen Druck und haben einen immer höheren Anspruch an sich selbst, mehr Kinderbetreuung zu übernehmen und trotzdem Vollzeit zu arbeiten. Väter mit Kindern unter sechs Jahren leiden somit sogar unter einer noch größeren zeitlichen Belastung als Mütter, wenn man bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammenrechnet.
Dass es auch Modelle einer partnerschaftlichen Teilzeit gäbe, also zum Beispiel die Möglichkeit, dass beide 30 Stunden arbeiten, ist in den Köpfen der Menschen wenig präsent und wird deswegen auch wenig genutzt. Hinzu kommt, dass Frauen in der Berufswelt aufgrund der gängigen Karenzregelungen oft diskriminiert werden. „Wenn klar wäre, dass auch ein Mann mindestens zwei Monate vom Job weg ist, sobald er Vater wird, oder er automatisch nur in Teilzeit zurückkommt, würde sich in der Einstellungspraxis von Unternehmen einiges ändern“, ist Schmidt überzeugt.
Ein Gedankenexperiment
Das Argument, dass der Mann oft besser verdient und deswegen die Frau in Karenz geht, sei auch nicht mehr haltbar. Schmidt schlägt ein kleines Gedankenexperiment vor: „Als Frau könnte man doch auch sagen: ‚Ich habe aufgrund des Gender-Pay-Gaps noch immer nicht so viel verdient wie du und wenn wir ein Kind bekommen, möchte ich sofort wieder einsteigen, damit ich irgendwann auch so viel verdiene. Du hast dir all das bereits erarbeitet, also kannst du jetzt pausieren.‘“ Natürlich gibt es auch Paare, in denen die Frau besser verdient, und dann wird argumentiert, sie nehme das einkommensabhängige Modell, weil sie dadurch viel mehr Kinderbetreuungsgeld erhalte. Umgekehrt passiert es so gut wie nie, dass der Vater dieses Modell wählt, weil er mehr verdient. „Hier sieht man wieder, welche Muster in einer Gesellschaft normativ sehr wirksam sind. Es würde viele Möglichkeiten geben, hier offener oder gleichberechtigter zu denken.“
Auch auf rhetorischer Ebene wäre es hilfreich, Begriffe wie „Väterkarenz“, „Väterbeteiligung“, „Familienvater“ und „Zuverdienerinnen“ im Diskurs nicht immer wieder zu stärken. Oder nicht einseitig darüber zu sprechen, wie wichtig Kinderbetreuungseinrichtungen für die Frauen sind, wenn sie doch auch für Männer mit Kinderbetreuungspflichten, also für beide Elternteile gleich wichtig sind. Denn die Sprache prägt unsere Denkweise und stützt das normative Korsett einer Gesellschaft.
Wird sich dieses Korsett in den kommenden Jahren weiten? Schmidts bisherige Forschungsergebnisse deuten eher weniger darauf hin, aber sie betont: „Es bräuchte dazu vor allem Vorbilder im eigenen Umkreis. Und natürlich auch Initiativen seitens der Politik und der Wirtschaft. Denn strukturelle Maßnahmen sind sehr wohl fähig, kulturelle Vorstellungen von Elternschaft zu verändern.“
Die Frage ist eben: Wohin wollen wir uns als Gesellschaft entwickeln? Wäre mehr „Perheystävällisyys“ nicht auch in Österreich ein erstrebenswertes Ziel für die Zukunft?_
Politische und unternehmerische Maßnahmen
für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für alle
#1 geschlechtsneutrale Formulierungen bei Karenzregelungen
#2 Nicht-Übertragbarkeit von Teilen der Karenzzeit und hoher Einkommensersatz
#3 Förderung von partnerschaftlicher Teilzeit und Anreize durch steuerliche Vorteile für beide schaffen
#4 Aufwertung von Care-Arbeit
#5 Qualitätsoffensive beim Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen
#6 explizites Anbieten von familienfreundlichen Maßnahmen für alle und Reform des Karenzmanagements in Unternehmen