Zeit für einen Blickwechsel. Wir sprechen mit jemandem über die neuen Arbeitswelten, der sich schon jahrzehntelang damit beschäftigt, was uns als Menschen wirklich ausmacht – in unseren Genen und darüber hinaus. Markus Hengstschläger hat einige Ideen für unsere gemeinsame Zukunft. Und Handlungsempfehlungen: für die Politik, für die Unternehmen und für uns als Individuen.
Herr Hengstschläger, Sie behaupten: „Kreativ ist das neue Normal.“ Wenn wir das auf die neue Arbeitswelt beziehen, haben die Unkreativen dann dort keinen Platz mehr?
Markus Hengstschläger: Die Wissenschaft und dementsprechend auch ich glauben, dass jeder Mensch grundsätzlich kreativ ist. Die Unkreativen in diesem Sinne gibt es also nicht. Die Kreativität ist ein Teil eines Potentials, das ich unter einer Überbegabung zusammenfasse, nämlich der Lösungsbegabung. Unsere Gene sind Bleistift und Papier, aber die Geschichte schreibt jede:r selbst. All unsere Talente und Begabungen sind Potentiale, aber diese muss man entdecken und ein Leben lang fördern. Der Mensch ist die mit Abstand lösungsbegabteste Spezies und jeder Mensch ist grundsätzlich lösungsbegabt.
Wie kann man diese Lösungsbegabung fördern?
Markus Hengstschläger: Das große Phänomen unserer Zeit ist, dass die Anzahl an Lösungen für unvorhersehbare Dinge, die wir generieren müssen, und auch die Geschwindigkeit der Veränderung stark zugenommen haben. Wir müssen uns in der Arbeitswelt heute regelmäßig neu erfinden und dazulernen. Und genau dafür braucht es Lösungsbegabung, die schon in der Elementarpädagogik gefördert werden muss. Jedes Kind hat das Recht darauf, dass man sich professionell auf die Suche nach seinen Talenten macht. Das schaffen wir nur, wenn wir Kinder eigene Lösungen finden lassen und ihnen den Raum geben, diese zu testen und aus Fehlern zu lernen.
Warum ist dies auch für Unternehmen so relevant?
Markus Hengstschläger: Wenn Erwachsene später das Selbstbewusstsein haben, ihre Ideen einzubringen, und nicht davor zurückschrecken, wenn eine ihrer Lösungen mal nicht funktioniert, dann schaffen wir eine kollektive Lösungsbegabung. Und auch Unternehmen müssen dafür sorgen, dass dort diese kollektive Lösungsbegabung existiert. Wenn junge Menschen heute das Gefühl haben, sie werden von ihrem Arbeitgeber nicht gehört, werden sie in ein Unternehmen wechseln, wo ihr Beitrag wirklich einen Unterschied macht. Ich rate den Unternehmen, gut zuzuhören und die Ideen der Mitarbeitenden zu integrieren. Das ist der beste Weg, um den War for Talents zu gewinnen.
Welche Jobs haben Ihrer Meinung nach noch Zukunft?
Markus Hengstschläger: Aus meiner Sicht ist das ganz klar: Die Maschine wird über kurz oder lang alles machen, was sie besser kann als der Mensch. Das stellt für uns aber eine Riesenchance dar. Denn am Ende wird unsere von Empathie getragene Lösungsbegabung den Unterschied machen. Eine KI kann in vielen Fällen bessere Antworten geben als wir, aber wir stellen die Fragen. Umso mehr Berufe die digitale Transformation akzeptieren und gleichzeitig diese Begabung einsetzen, umso höher wird der gemeinsame Gewinn aus der Digitalisierung für den Menschen. Und am Ende werden Berufe, bei denen die Empathie im Vordergrund steht, den Unterschied machen. Die Zukunft gehört den MINT-Berufen, aber die Zukunft der Zukunft gehört den Empathieberufen.
Welches Mindset müssen Arbeitnehmer:innen entwickeln, um den Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden?
Markus Hengstschläger: Lebenslanges Lernen ist eine gute Voraussetzung, allerdings braucht es noch mehr: Nämlich bereit zu sein, ein Teil der Veränderung zu werden. Als junger Mensch muss einem klar sein, dass es schon morgen notwendig sein kann, dass ich mich verändere und mir neue Kompetenzen aneigne. Diese Bereitschaft, von einer sich ständig ändernden Zukunft zu lernen und sich neu zu erfinden, wird die große Prämisse für Arbeitnehmer:innen.
Inwiefern müssen die Arbeitgeber heute umdenken, um attraktiv zu bleiben?
Markus Hengstschläger: Einerseits müssen sie ihren Angestellten ermöglichen, Sinn in der Arbeit zu sehen und zu erleben und das Gefühl vermitteln, dass ihre Ideen gehört werden. Andererseits ist es auch wichtig, eine Mischung aus Sicherheit und Flexibilität zu implementieren. Wissen, das es bereits gibt, soll genutzt werden, aber gleichzeitig muss der Mut bestehen, Neuland zu betreten. Wenn man mutig ist, kombiniert mit dem notwendigen Respekt, kann man nachhaltig innovativ sein. Auf die sogenannten ungerichteten Kompetenzen – sei es Teamfähigkeit, kritisches Denken, recherchieren können, intra- und interpersonale Intelligenz, Resilienz und vieles mehr – müssen wir in der Bildung, aber auch in Unternehmen wieder mehr Augenmerk legen.
Wie unterstützt die Academia Superior dabei, Zukunft neu zu denken?
Markus Hengstschläger: Wir haben gerade einen neuen Schwerpunkt, mit dem unsere Obfrau Christine Haberlander und ich gemeinsam in alle Regionen in Oberösterreich gehen und mit Menschen darüber diskutieren, was es für die Zukunft der Bildung braucht. Das Potential für Innovation sind nun mal die Menschen und als Think Tank können wir dazu beitragen, indem wir uns damit beschäftigen, was es zur Talente- und Begabtenförderung braucht. Wir wollen bewusst auch Geschichten von Menschen zeigen, die Lösungen gefunden haben und sich nicht von jeder Kleinigkeit zurückwerfen lassen. Und wir möchten, dass wir in der Gesellschaft wieder Schnittflächen finden und den Vertrauensverlusten in Politik, Medien und Wissenschaft entgegenwirken. Denn eines ist für mich klar: Die Wissenschaft ist der beste Begleiter in die Zukunft._