KPMG ist eines jener Unternehmen, welche ganz bewusst mehr Frauen in Entscheidungsfunktionen haben möchten. Dabei sind es schon einige: 60 Prozent in der gesamten Belegschaft, in der Ebene der Senior Manager immerhin 38 Prozent. Auf der Partnerebene sind es plötzlich nur noch acht von insgesamt 68 Personen. „Daran sehen wir, dass wir offensichtlich im Laufe ihrer Karriere sehr viele talentierte, engagierte Frauen verlieren“, sagt Helge Löffler, Partner und Standortleiter in Linz. Das will er ändern. Die Rate der Kinderlosigkeit unter berufstätigen Frauen müsse dadurch aber nicht gleichzeitig steigen. Man ist hier überzeugt, dass Mütter und genauso Väter, die einen Teil der Verantwortung in der Kindererziehung übernehmen, keine schlechteren Führungskräfte sind. Sie haben nur andere Bedürfnisse. Und genau diesen widmet sich KPMG verstärkt. Gabriele Lehner, Andrea Dobretsberger und Lydia Schwarz zeigen, wie sie die Herausforderung, Beruf und Familie zu vereinbaren, tagtäglich bewältigen. Eine Gesprächsrunde in Vancouver. Also im Meetingraum „Vancouver“ am KPMG-Standort in Linz.
Zwei Kinder und einen Beruf. Das haben Sie alle gemeinsam – aber wie unterschiedlich erleben Sie diese Situation?
DobretsbergerWenn ich sagen würde, es ist immer alles ganz easy, dann wäre das nicht richtig. Meine Kinder sind knapp drei und viereinhalb Jahre alt. Nach dem ersten Kind habe ich nach ein paar Monaten wieder projektbezogen gearbeitet, nach dem zweiten war ich in Karenz, habe aber in dieser Zeit die Ausbildung zur Steuerberaterin gemacht. Seit circa einem Jahr arbeite ich 20 Stunden. Es ist genau die Kombination aus Beruf und Familie, die zwar fordernd, aber sehr bereichernd ist.
LehnerMeine Kinder sind jetzt 20 und 23 Jahre alt, damit sind sie bereits sehr selbstständig. Zuhause zu bleiben wäre nie eine Option für mich gewesen, ich wollte immer arbeiten. Ich glaube, es war eine Symbiose aus Entgegenkommen des Unternehmens und meines Partners, der mich maßgeblich unterstützt hat, sodass es gut klappte. Hinzu kommt eine Haushälterin, die unsere Kinder nun seit 20 Jahren begleitet – nur wenn man seine Kinder wohlbehütet weiß, kann man auch mit der nötigen Leichtigkeit arbeiten gehen. Nach dem ersten Kind war ich drei Monate in Karenz, nach dem zweiten gar nicht. Ich habe eine gewisse Flexibilität genossen, das Verständnis der Partner, dass ich manchmal früher wegmusste und eben von zuhause weitergearbeitet habe.
SchwarzMeine Kinder sind zwölf und dreizehn, nicht gerade die leichteste Phase (schmunzelt). Ich war damals drei Jahre bei KPMG, als ich mein erstes Kind bekommen habe, kurz darauf das zweite. Als mein Sohn eineinhalb war und in die Krabbelstube ging, begann ich wieder 20 Stunden zu arbeiten. Mein Vorteil war, dass mir KPMG immer flexibel entgegengekommen ist – zwischendurch arbeitete ich 30 Stunden, zum Schulanfang der Kinder konnte ich wieder auf 25 Stunden reduzieren. Während meiner Karenzzeit war ich regelmäßig in der Firma, um Kontakt zu halten. Das halte ich für sehr wichtig!
Wie gelingt es als Arbeitgeber, so flexibel auf die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter einzugehen?
LöfflerWir haben 135 verschiedene Arbeitszeitmodelle, wobei es falsch ist, hier von Arbeitszeitmodellen zu sprechen, wir versuchen einfach sowohl bei Frauen als auch bei Männern die individuelle Situation zu berücksichtigen und darauf einzugehen. Wichtig ist bei der operativen und administrativen Arbeit, in Teams zu arbeiten, welche gut aufeinander abgestimmt sind, dann funktioniert das sehr gut. Insofern braucht man dann eigentlich keine starren Regeln.
LehnerDas Ziel, Frauen zu fördern, sollte in der Gesellschaft stärker verankert werden. Das ist nicht nur wegen der Gleichberechtigung so. Wir haben ja auch ein rein wirtschaftliches Interesse daran, dass unsere Mitarbeiterinnen, die derartig viel Wissen erarbeitet haben, bei uns bleiben und nicht weg sind, wenn sie Kinder bekommen. Sonst investieren wir und haben aber am Ende keinen Nutzen davon. Das bedeutet, alleine der Ressourcen wegen, die ja heutzutage knapp sind, müssen wir unsere Mitarbeiter, Frauen wie Männer, an uns binden und deshalb Lösungen finden, die das ermöglichen.
Kann so eine Lösung auch sein, eine Führungsposition in Teilzeit zu besetzen?
LehnerEine Teilzeitlösung muss ja nicht bedeuten, dass jemand immer ausschließlich von acht bis zwölf da ist. Es braucht Flexibilität von beiden Seiten – sodass man sowohl auf die Bedürfnisse des privaten als auch des beruflichen Bereiches eingeht. Dann ist eine Führungsposition in Teilzeit auf alle Fälle möglich.
DobretsbergerEinerseits genieße ich die Flexibilität meines Arbeitgebers, auf meine private Situation einzugehen. Andererseits bringe ich selbst Flexibilität mit, indem ich die Anforderungen eines Projekts berücksichtige und mich zum Beispiel am Abend noch hinsetze, damit die Dinge am nächsten Morgen fertig sind. So können beide Seiten profitieren.
LöfflerAufgrund des technischen Fortschritts sind wir in der Lage, unsere Arbeit von überall aus zu machen, abgesehen vom direkten Kundenkontakt. Das Thema Teilzeit und Homeoffice funktioniert daher sowohl auf der Managerebene als auch im administrativen Teil sehr gut. Inwiefern Teilzeitmodelle auf der Geschäftsführerebene sowie in der Partnerschaft möglich sind, evaluieren wir im Moment verstärkt, damit wir auch hier gute Lösungen finden. Es ist nicht nur eine gesellschaftliche Frage, sondern auch eine betriebswirtschaftliche Herausforderung, weil wir jedes Jahr ein schönes Wachstum hier am Standort und bei KPMG Österreich vorweisen. Wir brauchen also Top-Führungskräfte, auch im Bereich der Geschäftsführung und Partnerschaft. Es ist für mich ganz klar, hier neue Lösungen finden zu müssen. Die Akzeptanz dafür ist sowohl intern als auch seitens unserer Kunden da. Die Entwicklung ist im Vormarsch, es ist nur eine Frage der Zeit, bis das für jeden selbstverständlich ist.
LehnerWobei solche Veränderungen in der Gesellschaft schon Zeit brauchen. Als ich vor 30 Jahren hier bei KPMG begonnen habe, gab es unter den fachlichen Mitarbeitern sehr wenige Frauen, selbst auf der Prüferebene waren wir fast Exoten. Heute ist es selbstverständlich, dass wir sehr viele weibliche Führungskräfte auf der Managerebene haben. Dass wir die Voraussetzungen schaffen müssen, von der zweiten auch in die erste Führungsebene kommen zu können, ist der nächste Schritt. Das braucht aber Zeit, das ist ein Kulturwandel, dazu muss sich die Einstellung aller Beteiligten sukzessive verändern.
Müssen sich dazu auch die Rahmenbedingungen ändern? Stichwort Kinderbetreuung.
SchwarzMeiner Erfahrung nach leisten die Kindergärten und Krabbelstuben in Linz eine hervorragende Arbeit, ich konnte mich immer darauf verlassen.
Aber Sie haben vorhin das Thema Flexibilität angesprochen, da stellt sich doch die Frage: Müssten da diese Einrichtungen nicht auch mit flexibleren Öffnungszeiten reagieren? In den skandinavischen Ländern, wo der Anteil der Frauen in Führungspositionen deutlich höher ist, haben Kindergärten bis 19 Uhr geöffnet.
DobretsbergerIch glaube, das ist ein Henne-Ei-Problem. Im Moment organisieren sich alle so, dass sie sich nach den Öffnungszeiten richten, sodass der Bedarf nicht gegeben ist, Kindergärten bis 19 Uhr zu öffnen. Aber ich glaube, irgendwo muss man beginnen und das Angebot schaffen. Dann würde ein gewisses Umdenken stattfinden. Flexible Arbeitszeiten könnten so auch bedeuten, dass ich zum Beispiel vormittags bei meinen Kindern bin, sie mittags in den Kindergarten bringe und dann bis am Abend, weil das ein Projekt fordert, im Büro bin.
SchwarzBis sich das gesellschaftlich durchsetzt, würden aber einige Jahre vergehen. Daher befürchte ich, dass diese Veränderung gerade in Zeiten der Einsparungen nicht durchsetzbar ist.
Dann kommen wir also wieder zu den Rahmenbedingungen, die ein Unternehmen selbst schaffen kann. Was tun Sie zur Unterstützung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie?
LehnerWir organisieren in unserem Team zum Beispiel Meetings wenn irgendwie möglich so, dass auch jene teilnehmen können, die nicht Vollzeit arbeiten. Natürlich ist das nicht immer möglich, aber meist ist es nur eine Frage des Wollens. Und das muss selbstverständlich sein. Denn wenn Meetings immer erst nach 16 Uhr stattfinden, ist das natürlich nicht familienfreundlich.
DobretsbergerIch glaube, es ist auch wichtig, dass ein Umdenken stattfindet – und zwar dahingehend, dass Flexibilität nicht grundsätzlich etwas Schlechtes ist, sondern auch positiv genutzt werden kann. Da haben wir bei KPMG wohl ein privilegiertes Umfeld, weil wir sehr projektbezogen arbeiten, hier wird das schon positiv gesehen. Aber in vielen anderen Unternehmen ist das nicht so, da muss allgemein ein gesellschaftlicher Wandel stattfinden.
LehnerGeht das Umdenken nicht auch dort hin, dass einfach noch diese grundsätzliche Akzeptanz in der Gesellschaft wachsen muss, dass eine Frau berufstätig sein will – auch wenn sie Kinder hat? Vielleicht ist das heute anders, aber ich habe es schon manchmal gespürt, dass ich sozusagen die Rabenmutter war, weil ich kaum Zeit hatte, um die diversen Veranstaltungen der Kinder zu besuchen. Wobei ich es ganz gut ignorieren konnte. Heute freue ich mich, dass sich meine Kinder prächtig entwickelt haben und wir ein sehr gutes Verhältnis zueinander haben.
DobretsbergerIn meinem Bekanntenkreis ist es ganz normal, dass Frauen trotz Kinder arbeiten. Die grundsätzliche Akzeptanz ist, glaube ich, in der Gesellschaft gegeben. Wobei, das muss man schon ehrlich sagen, es für die Männer nicht immer einfach ist zu akzeptieren, dass sie zum Beispiel auch mal zuhause bleiben müssen, wenn die Kinder krank sind.
LöfflerDas Thema Flexibilität ist ja nicht nur ein Frauenthema, sondern ein allgemeines. Flexible Arbeitszeitmodelle werden von Männern genauso gewünscht, egal ob wegen Familie, Freizeit oder Weiterbildung, die Zugänge dazu sind ganz unterschiedlich. Und auch bei den Meetings wird ja nicht nur auf die Mütter Rücksicht genommen, sondern auf jeden einzelnen. Geht man als Unternehmen auf diese Bedürfnisse ein, bekommt man im Gegenzug eine höhere Loyalität und Leistungsbereitschaft. Eine typische Win-Win-Situation also, die sich nicht auf ein Geschlecht beschränkt.
Apropos Win-Win. Zahlreiche Studien zeigen, dass Unternehmen mit gemischten Führungsteams am erfolgreichsten wirtschaften. Warum, glauben Sie, ist das so?
SchwarzIch denke, dass Männer und Frauen unterschiedliche Zugangsweisen zu gewissen Problemlösungen haben.
LehnerUnd dieser unterschiedliche Zugang ergibt dann auch eine andere Diskussionskultur. Ich erlebe gemischte Teams immer als sehr dynamisch.
Und wie funktioniert diese Zusammenarbeit am besten? Muss man sich als Frau in einer männerdominierten Gruppe speziell verhalten?
LehnerEinen Punkt halte ich schon für sehr wichtig, gerade wenn es um den ersten Eindruck geht: die Kleidung. Im beruflichen Umfeld würde ich nicht im Minikleid und mit High-Heels auftauchen, sondern eher im Kostüm oder Hosenanzug. Das heißt für mich aber nicht, dass ich männliches Verhalten übernehme. Ich kann weiblich gekleidet sein, aber es muss dem Zweck angepasst sein, also businesslike. Das hilft auch, um einen nächsten wichtigen Punkt erfüllen zu können – Selbstsicherheit ausstrahlen.
DobretsbergerIch glaube auch, dass sich viele Frauen nicht gern in den Vordergrund stellen. Im Hinterkopf ist immer der Wunsch, von allen gemocht zu werden. Es geht aber darum, trotzdem direkt und vor allem authentisch zu sein. Wenn ich versuchen würde, einen Mann zu imitieren, dann würde das unecht wirken.
SchwarzDadurch, dass Frauen meist in der Minderheit sind, werden sie kritischer beurteilt als Männer. Hinzu kommt, dass sich Frauen oft auch selbst kritischer beurteilen als notwendig. Vielleicht müssen Frauen von Grund auf daran arbeiten, mehr an sich zu glauben. Glaubt eine Frau an sich, ist auch der erste Eindruck ein kompetenter und fachlich sicherer. Überhaupt geht es darum, Frausein als Stärke zu verkaufen.
LehnerDas bringt es auf den Punkt. Ich habe oft erlebt, dass Männer bei einer anstehenden Herausforderung, diese einfach annehmen, überzeugt davon, dass sie eine Lösung finden werden und sich danach erst überlegen, wie sie diese umsetzen können. Eine Frau hingegen zweifelt häufig, überlegt erst einmal, ob sie wirklich in der Lage ist, das zu schaffen. Und erst, wenn sie sicher ist, dann sagt sie ja. Dann ist die Chance aber möglicherweise bereits weg. Wir müssen deshalb mehr Mut haben zu sagen: Ich kann das! Auch mit dem Mut zur Lücke.
LöfflerIch wünsche mir, dass die Frauen ihre Wünsche artikulieren und sagen: „Ja, ich kann mir vorstellen, in meiner Position mit Kindern weiterzuarbeiten, aber wir brauchen dazu dieses und jenes Modell.“, oder: „Ich möchte Partnerin werden, aber wir müssen entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, damit ich Beruf und Familie koordinieren kann.“ Das ist mein Wunsch, dass Frauen das intensiver artikulieren. Männer tun das auch! (lacht)
Tauschen sich Frauen in der KPMG zu diesen Themen aus, um sich gegenseitig zu unterstützen?
LöfflerWir bauen gerade das sogenannte Network of Women auf, wo es darum geht, dass unsere Kolleginnen auf verschiedenen Ebenen ihre Erfahrungen austauschen und auch ihre Wünsche sowie Bedürfnisse ansprechen sollen. So können jüngere Mitarbeiterinnen zum Beispiel erfahren, wie Gabi Lehner seinerzeit die Herausforderung Familie und Beruf gemanagt hat. Oder wie Andrea Dobretsberger das mit zwei kleinen Kindern organisiert. Und genauso wie Lydia Schwarz das im administrativen Bereich erlebt.
Werden wir in 20 Jahren immer noch eine Gesprächsrunde zum Thema Frauenförderung abhalten? Oder ist das Thema dann abgehakt und selbstverständlich?
Lehner20 Jahre sind eine kurze Zeit in dieser Entwicklung, wenn man bedenkt, wie lange der Mensch in einer bestimmten Familien- und Gesellschaftsstruktur schon existiert. Ich befürchte, dass es dann nach wie vor Maßnahmen braucht, um Frauen zu fördern. Es ist auch ganz wichtig, wie wir die nächste Generation erziehen. Da wünsche ich mir insbesondere, dass es keine Rückwärtsbewegung gibt. Ich sehe nämlich, dass junge Frauen um die 20 manchmal kaum noch Ambitionen in Richtung Karriere haben, sondern den Fokus wieder auf Familie legen. Die Kombination finde ich gut, aber sich nur auf eines zu konzentrieren, fände ich schade. Weil jetzt schon vieles erarbeitet wurde, damit beides möglich ist. Das heißt, ich wünsche mir, dass sich die Rahmenbedingungen insgesamt positiv entwickeln, sodass auch junge Frauen, denen Familie extrem wichtig ist, ein Umfeld vorfinden, in dem sie sich dennoch beruflich engagieren können.
Warum, glauben Sie, kommt es zu dieser Rückwärtsbewegung?
LehnerDas ist eine gesellschaftliche Entwicklung. Wir ermöglichen unseren Kindern ein behütetes, angenehmes Leben in einem komfortablen Umfeld. Das Herauskommen aus dieser Komfortzone müssen wir schon bewusst unterstützen.
SchwarzIch glaube auch, dass es wichtig ist, unseren Kindern gewisse Prinzipien näherzubringen. Dies fängt bereits damit an, dass der Sohn zuhause genauso mithilft wie seine Schwester und sie sich gegenseitig unterstützen. Es geht darum, seinen Kindern vorzuleben, wie man ein glückliches Familienleben und eine Karriere miteinander verbinden kann._