Durch alle großen Trends, die die Arbeitswelt momentan für uns bereithält, ziehen sich folgende Fragen: Wie können wir den neuen Herausforderungen resilient begegnen und was braucht es, damit wir ein gesundes Mittelmaß zwischen Unter- und Überforderung finden? Arbeits- und Gesundheitspsychologe Christian Korunka spricht mit uns darüber, wie wir mit den Anforderungen effizient und bedarfsorientiert umgehen können und als Gesellschaft nicht ausbrennen.
Eigentlich war das Ziel dieses Artikels, über die Phänomene Burnout, Boreout und Burnon aufzuklären und diese anschaulich zu beschreiben. Doch schon in den ersten Minuten des Interviews mit Psychologe Christian Korunka wird klar, wir müssen hier einen anderen Zugang wählen. Denn die genannten Begriffe sind laut ihm großteils Modewörter, mit denen es seiner Meinung nach einen vorsichtigen Umgang braucht. Burnout ist zwar mittlerweile eine ICD-klassifizierte Krankheit, doch kommt das Phänomen ursprünglich aus Settings, in denen soziale Beziehungen im Fokus stehen. Zum Beispiel auf einer Krebsstation oder in der Streetwork, wo der Krankenpfleger oder die Sozialarbeiterin ausbrennen, weil sie in einem Feld nicht die Änderungen herbeiführen können, für die sie motiviert wären und den Job gewählt haben. An einem echten Burnout, das oft mit monatelanger Arbeitsunfähigkeit einhergeht, leiden zirka ein bis zwei Prozent der Bevölkerung einmal im Leben. Der Rest könnte eigentlich mit dem Wort „Überlastung“ beschrieben werden. Genauso bei Boreout und Unterforderung oder bei Burnon, einem Begriff, der die zeitliche Dimension der Überlastung beschreibt.
Korunka warnt allerdings davor, mit diesen Modebegriffen um sich zu werfen. Viel mehr Sinn macht es, sich anzusehen, ob wir denn in der Arbeitswelt tatsächlich stärker belastet sind als früher oder ob der Diskurs nur lauter ist, weil ein stärkerer Fokus darauf gelegt wird. „Die körperlichen Belastungen nehmen tendenziell ab, die psychischen allerdings zu.“ Nicht umsonst beschäftigt man sich mittlerweile auch gesetzlich mit den psychischen Belastungen in der Arbeitswelt. In Studien zur Arbeitsintensivierung an Korunkas Institut zeigte sich, dass sich Arbeit seit den 90er Jahren intensiviert und verdichtet hat. Positiv daran: Auch Unternehmen beschäftigten sich schon intensiv mit diesen Belastungen und untersuchten, wie damit umgegangen werden kann. In der Arbeitspsychologie gibt es den Leitsatz „Verhältnisprävention geht vor Verhaltensprävention“. Das heißt, es sind zuerst die Verhältnisse selbst, also die Arbeit an sich, die Gestaltung der Arbeit, alles, wofür der Arbeitgeber verantwortlich ist, in den Vordergrund zu rücken und erst dann das Verhalten, sprich die Menschen. „Es geht nicht darum, die Menschen an den Job anzupassen, sondern den Job an die Menschen anzupassen.“
Selbst gestalten
Gleichzeitig verlangen Jobs, in denen Homeoffice gang und gäbe ist, zum eigenen Gestalter oder zur eigenen Gestalterin zu werden. „Wenn ich meinen Arbeitsplatz in der flexiblen Welt selbst gestalten muss, dann ist das durchaus eine kognitive Herausforderung.“ Im Homeoffice kommt auch hinzu, dass eine ausreichende Ergonomie des Arbeitsplatzes oder der Lichtverhältnisse nicht im selben Maß wie im Büro gegeben ist und dass man mit einer großen, manchmal einer zu großen Autonomie konfrontiert ist. Andererseits verbessert es die Möglichkeiten von Work-Life-Balance und Zeitgestaltung. Ob wir im Homeoffice auch langfristig produktiver sind, lässt sich jetzt noch nicht sagen. Wir müssen auf jeden Fall lernen, uns an selbstgemachte Regeln, beispielsweise zur Pausengestaltung, zu halten.
Was wir insgesamt nicht vergessen dürfen: Nur etwa ein Viertel der Jobs sind jene, in denen Homeoffice überhaupt möglich ist. Und hinzu kommt, dass wir generell unsere Arbeitswelt durch eine sehr westliche Brille sehen. Mitarbeitende einer Kleiderfabrik in Bangladesch würden der Aussage „Arbeit ist insgesamt nicht schlechter geworden“ wahrscheinlich wenig bis gar nicht zustimmen.
Menschliche Grundbedürfnisse
Ein guter Arbeitsplatz ist jedenfalls einer, der es schafft, die menschlichen Grundbedürfnisse zu erfüllen, und zwar das Bedürfnis nach Autonomie – individuelle, persönliche Entwicklung, Gestaltungsspielraum, Partizipation –, das Bedürfnis nach Kompetenz – Neugier, Weiterentwicklung, Lernen – und das Bedürfnis nach sozialer Einbindung. Der Idealfall wäre, dass dieser Arbeitsplatz darüber hinaus ein gesundes Maß an Anforderung bereitstellt, weder Unter- noch Überforderung.
Was können wir tun, um als Gesellschaft insgesamt nicht auszubrennen? Wir müssen wachsam sein, Themen wie psychische Belastungen aktiv ansprechen und einen präventiven Blick auf die Arbeitswelt einnehmen. Und uns bewusst sein: Arbeit per se befriedigt Grundbedürfnisse und ist durchaus etwas Positives. Es geht nur darum, den richtigen Rahmen dafür zu schaffen._
Arbeit ist insgesamt sicher nicht schlechter geworden.
Christian Korunka
Leiter Arbeits- und Organisationspsychologie, Fakultät für Psychologie, Universität Wien