Als Erich Haider Ende der 80er-Jahre nach abgeschlossenem Informatikstudium erstmals zum Vorgängerunternehmen der heutigen Linz AG, der ESG Linz, wechselt, werden die Fahrpläne für die Linzer Straßenbahnen noch ausgedruckt und den Fahrern zu Dienstbeginn händisch überreicht, Verspätungen sind nur grob erfassbar. Das alles ändert sich erst durch das Linzer Beschleunigungsprogramm LIBE – Haiders erstem Großprojekt im Betrieb. „Es war ein technologischer Quantensprung. Nach der Umsetzung wussten wir immer genau, wo sich welches Fahrzeug befindet, konnten insgesamt 128 Ampeln elektronisch durchschalten und so 27 Prozent an Fahrzeit gewinnen“, sagt Haider. Seine Augen beginnen zu glänzen, er scheint sich gerne (und vor allem bis ins Detail) an diese Zeit zurückzuerinnern. „Unseren Kunden wurde erstmals in Echtzeit angezeigt, wann die nächste Straßenbahn kommt, das war wirklich revolutionär“, erklärt er. Privat ist Haider nach eigenen Angaben übrigens nie schwarz mit Bus oder Straßenbahn gefahren. „Das wäre mir viel zu unangenehm.“
Kein staatlicher Monopolbetrieb mehr
Seit den 90er-Jahren hat sich nicht nur Haider selbst, sondern auch das Unternehmen verändert. Gab es bis ins Jahr 2000 einen Monopolmarkt im Energie- und Wasserbereich, können Kunden heute frei wählen. „Wir versorgen derzeit 118 Gemeinden und müssen dort jeden Auftrag gewinnen“, sagt der Generaldirektor. Aus dem staatlichen Monopolbetrieb sei ein wettbewerbsfähiges Unternehmen geworden. Auch die Anforderungen der Kunden hätten sich geändert. Sie wollen ein effektives Verkehrssystem und informieren sich über Themen wie Nachhaltigkeit, sagt Haider. Doch nicht alles ist anders als früher: Unverändert wichtig und hoch sei die technische Kompetenz im Unternehmen. „Wir haben etwa eine Methode entwickelt, mit der wir an 90 Stellen in Linz den Wasserverbrauch messen und sofort Rohrbrüche erkennen, so können wir den Wasserverlust auf fünf Prozent minimieren“, sagt Haider. Die Vergleichszahlen hat er auch gleich parat: 30 Prozent in Rom, zehn Prozent in Städten mit ausgezeichnetem Wassersystem. In der Stahlstadt entwickelte die Linz AG spezielle 3D-Kameras, welche die Kanalsysteme mit Hilfe von Geodaten vermessen. Haider: „Mit einem hydrodynamischen Berechnungsmodell können wir genau prognostizieren, welche Kanäle bei Hochwasser stärker beansprucht sind, wo sich das Wasser hinbewegt, auch dieses Berechnungsmodell haben wir erfunden“. Der Generaldirektor scheint Zahlen und Statistiken zu lieben, seine Abschlussarbeit an der JKU schrieb er über die Anwendung der schnellen Foraytransformation. „Ich bin ein großer Anhänger von Zahlen- und Prognosesystemen“, sagt er, „die Mitarbeiter wissen auch genau, dass sie besser nicht unvorbereitet kommen, denn ich merke mir die Details.“
Die Verlängerung der Straßenbahnachse bis nach Traun konnte Haider bereits durchsetzen, in Zukunft warten zwei weitere Großprojekte auf ihn und das Unternehmen. Erstens der Bau der zweiten Schienenachse durch Linz. „Dadurch werden das AKH, die Frauenklinik, das Unfallkrankenhaus, die Polizeischule und das Parkbad an das Straßenbahn-Netz angebunden und der neue Stadtteil Grüne Mitte aufgewertet“, sagt er. Man will die Kundenorientierung weiter steigern. Zweites Großprojekt ist der völlige Umbau des Hafenviertels. „Wir werden die Infrastruktur erneuern, geplant ist eine innovative Kultur- und Freizeitachse“, sagt Haider. Dabei behilft man sich mit einem Trick. Normalerweise ist das Betreten des Hafengeländes für Fremde verboten. Durch ein geplantes gewaltiges Grün-Dach werden sich die zukünftigen Besucher aber nicht direkt im Hafengelände selbst befinden.
„Denk- und Handlungsweisen verstehen“
Vom Spitzenpolitiker ins Management – welche Parallelen gibt es? „Wir bewegen uns mit unseren Angeboten im öffentlichen Raum, deswegen ist es besonders nützlich, die Denk- und Handlungsweise der Gemeinden zu verstehen“, sagt Haider. Wie auch in der Politik gelte es, Menschen zu führen. Haider: „Ich bin davon überzeugt, dass man, egal ob in der Politik oder im Unternehmen, mit Werten führen muss.“ Ohnehin sind Werte ein wichtiges Thema für ihn, Haider selbst bezeichnet sich als Gerechtigkeitsfanatiker. „Ich bin vehement für Chancengleichheit. Nützen müssen die Menschen ihre Chance selbst, aber jeder sollte eine bekommen“, sagt er. Er spricht aus Erfahrung: Aufgewachsen ist er in einer Gemeinde ohne Hauptschule, wo nur zwei von 56 Schülern die Gelegenheit hatten, das Gymnasium zu besuchen. Haider war einer von ihnen: „Ich bin jeden Tag um fünf Uhr morgens aufgestanden, um sechs Uhr mit dem Bus nach Linz gefahren und um 18 Uhr wieder zurück nach Hause.“
Aus dieser Zeit stammt auch seine größte private Leidenschaft, das Tarockspielen. „Ich spiele seit dem zwölften Lebensjahr. Wenn man nicht so früh anfängt, ist es auch schwierig, den Vorsprung der anderen aufzuholen“, sagt Haider und lacht. Spielt er nicht mit Karten, liest der Generaldirektor auch gerne. Oder würde es zumindest gerne. „Ich lese eigentlich von Kindheit an gerne, momentan habe ich aber mehr Bücher zuhause, die ich nicht gelesen habe als umgekehrt“, sagt er._
Gedanken
Mein erster Berufswunsch war_ Pilot oder Pfarrer
Darauf bin ich besonders stolz_ auf LIBE, mein erstes großes Projekt, auf den neuen Linzer Hauptbahnhof, die umgesetzten Verkehrsprojekte, auf die Einführung des betreuten Wohnens in Oberösterreich. Und, dass ich viele große Persönlichkeiten kennen gelernt habe: zum Beispiel Kreisky, Kofi Annan, Schröder, Mitterand, Merkel oder Putin.
Wenn ich heute am Anfang meiner Karriere stehen würde_ würde ich wieder Technische Informatik studieren, aber auch Rechtswissenschaften, weil das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben sehr stark durch die EU-Gerichtsbarkeit und Gesetze bestimmt wird.
Krawatte trage ich_ erst seit ich 40 bin.
Wenn ich nicht Tarock spiele oder lese_ habe ich oft Enkerldienst. Wir haben einen neunjährigen Enkel, der uns ziemlich auf Trab hält, was sehr schön ist.