Die digitale Dosis
Wie aber behält man einen klaren Kopf? Die Dosis macht auch hier das Gift. Beck plädiert für einen kontrollierten, wohldosierten Einsatz von Medien und rät dazu, „Räume festzulegen, wo sich keine digitalen Geräte befinden. Wenn wir in diesen Räumen sind, dann geht das Gehirn in einen anderen Denkmodus und es kommt besser sortiert und einen Tick cleverer in die digitale Welt zurück.“ Informationen müssen analog verdaut und vernetzt werden. „Bei monotonen Tätigkeiten wie Rad fahren, spazieren gehen, Geschirr abtrocknen oder Rasen mähen sind andere Hirnregionen aktiv, die im hinteren Scheitelbereich liegen und die man Grundeinstellungsnetzwerk nennt. Diese Areale sind dafür verantwortlich, dass man durch Mind-Wandering seine Gedanken kreisen lässt, ordnet, vernetzt und nicht überlastet wird.“ Einfache Grundregeln, wie Offlineräume festzulegen, kein Smartphone im Schlafzimmer zu benutzen, keinen Handycheck nach dem Zähneputzen mehr zu machen oder Hobbys offline auszuüben, seien gehirnfreundlich und gut für die Aufmerksamkeitsspanne.
Aufmerksamkeit als Schlüsselqualifikation
Grabuschnig sieht den Umgang mit Aufmerksamkeit als die größte Herausforderung, die Führungskräfte im Arbeitsalltag zu meistern haben. „Priorisieren, sich auf das Wesentliche konzentrieren, sich nicht ablenken lassen und auch in stressigen Situationen klare Entscheidungen treffen zu können, das sind alles Fähigkeiten, die erhöhte Aufmerksamkeit benötigen“, so der Trainer und Coach bei MDI.
Man müsse die eigene Aufmerksamkeit behutsam und diszipliniert verteilen und gleichzeitig darauf achten, Mitarbeiter gezielt unterstützen zu können. „Je aufmerksamer ich als Führungskraft bin, desto besser kann ich Mitarbeiter nach ihren Stärken einsetzen und so eine gute Performance erreichen. Aufmerksam sein bedeutet auch, dass ich mich für andere interessiere“, weiß Kreitmayer.
Angeboren oder antrainiert?
Doch ist die Fähigkeit, aufmerksam zu sein, eigentlich angeboren oder kann man sie (an-)trainieren? „Alles im Gehirn ist irgendwie auch genetisch bedingt“, sagt Beck. „Wir wissen zum Beispiel, dass sich intelligente Menschen vor allem dadurch auszeichnen, dass sie sich sehr gut konzentrieren können. Intelligente Gehirne können unwichtige Dinge gut abschirmen und ausblenden. Sie können ihre Ressourcen und ihre Denkenergie nur in Richtung der wirklich wichtigen Dinge lenken. Die Grundfähigkeit, wie man priorisiert, ist zwar angeboren, man kann sie aber auch trainieren.“ Ein Gehirn ist ein plastisches Organ, das sich anpasst. „Wie ich es benutze, so entwickelt es sich auch auch.“
Wenn ich mich permanent jeder Ablenkung hingebe, dann trainiere ich das Gehirn dafür, offen zu sein, und ich werde unkonzentriert“, sagt Beck. Die Aufmerksamkeitsspanne kann man erhöhen, indem man darauf achtet, wodurch sie unterbrochen wird. „Das kann das ‚Bing-Geräusch‘ einer neuen Chatnachricht sein. Oder die Kollegin, die ohne Termin auftaucht“, so Grabuschnig. Aufmerksamkeit sei stark von Motivation abhängig. „Für Dinge, die Freude machen, wird leichter Aufmerksamkeit aufgebracht.“ Kreitmayer plädiert dafür, mehr im Hier und Jetzt zu sein und auf Multitasking zu verzichten. „Ein Beispiel: Wenn man ein Meeting moderiert, dann sollte man bei den Teilnehmenden sein und nicht gleichzeitig hereinkommende E-Mails bearbeiten.“
Aufmerksam sein – auf sich selbst
Und wie bleibt man als Führungskraft gegenüber sich selbst am besten aufmerksam? „Wichtig ist, eine Balance zwischen Fokussierung und De-Fokussierung zu schaffen. Stress spielt eine große Rolle, denn wenn man zu viel Druck hat, kann man nicht gut fokussieren. Aber dasselbe passiert auch, wenn man zu wenig Druck hat“, sagt Grabuschnig.
Gerade als Führungskraft sei es wichtig, in Balance zu kommen, indem man sich genügend Pausen durch Meditation, Achtsamkeitstraining, einen Spaziergang im Wald gönnt. „Oft sind es die einfachen Dinge, die uns wieder Energie geben.“ Speziell für Führungskräfte, die sehr von ihren Emotionen gelenkt sind, kann Achtsamkeitstraining eine gute Methode sein, um sich zu erden und vor vorschnellen Entscheidungen zu schützen. Achtsamkeitstraining fördere die Führungskompetenz durch den Aufbau von Resilienz sowie von Fokus und lehre, den Blick für das Wesentliche zu schärfen, weiß Kreitmayer. „Bei sich selbst anzufangen und zu üben ist eine gute Basis.“ Es gehe darum, sich selbst zu spüren und orientiert zu sein. „Bin ich noch im grünen Bereich oder nicht mehr? Kann ich noch als Vorbild gesehen werden? Ich trage mir seit Kurzem täglich ein 3-M-Meeting in meinem Kalender ein: Das ist ein 30-minütiges Meeting mit mir selbst. In dieser Zeit geht es darum, mich zu sortieren und mir einen guten Überblick zu verschaffen, um danach wieder Schritt für Schritt die nächsten Dinge anzugehen.“_